
Sollte Europa die digitale Souveränität anstreben?
Europa bevorzugt seit langem ein Modell der digitalen Governance, das auf einem offenen Markt für digitale Dienste in Verbindung mit dem Schutz der Rechte und Interessen der Bürger beruht. Bislang hat die EU im digitalen Bereich weitgehend als Regulierungsbehörde fungiert, aber wird dieser Ansatz im kommenden Jahrzehnt ausreichen? Sind es nicht diejenigen, die die Technologien der Zukunft schaffen (und besitzen), die die Standards setzen und ihre Nutzung regeln werden?
Muss die EU, wenn sie in der Lage sein will, ihren Ansatz im Inland und auf internationaler Ebene durchzusetzen, eine technologische Supermacht werden? Muss sie dafür Digitale Souveränität erreichen, also die Fähigkeit, „ihre Rolle in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausüben zu können“? Würde dies Europa in die Lage versetzen, wirtschaftliche und geopolitische Vorteile zu erlangen? Und würde die EU, wenn sie sich weiterhin auf ausländische Tech-Giganten verlässt, verwundbar und unfähig werden, die Rechte ihrer Bürger durchzusetzen?
Was denken unsere Leserinnen und Leser?
Ihr habt uns EURE Fragen und Kommentare geschickt und wir haben sie an eine Digital-Expertin und an einen Verteter der Europäischen Kommission weitergeleitet.
- Dr. Julia Pohle ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Politik der Digitalisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
- Johannes Bahrke ist koordinierender Sprecher für digitale Wirtschaft, Forschung und Innovation bei der Europäischen Kommission
Wir haben einen Kommentar von Craig erhalten, der möchte, dass die EU eine starke digitale Souveränität entwickelt, weil „die Europäer zu lange de facto von den Vereinigten Staaten abhängig waren“, auch in Bezug auf die großen US-Tech-Unternehmen.
Für eine Antwort haben wir seine Frage an die Digital-Expertin Dr. Julia Pohle vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung weitergeleitet. Was würde sie Craig antworten? Sollte die EU eine starke digitale Souveränität entwickeln?
Ja und nein. Ich stimme zu, dass wir bei digitalen Technologien und Dienstleistungen sehr lange stark von US-Unternehmen abhängig waren und sind, und ich stimme auch zu, dass dies aus vielen Gründen ein Problem ist. Aber ich stimme nicht in allem mit ihm überein, weil ich nicht glaube, dass alleine das Streben nach digitaler Souveränität die mögliche Lösung für dieses Problem ist.
Die digitale Souveränität ist ein sehr vager Begriff, und die politischen Akteure suggerieren, dass wir einfach unsere digitale Souveränität stärken müssen, um die Kontrolle über die Technologie, die digitalen Infrastrukturen und all die Dienste zu erlangen, auf die wir uns so sehr verlassen. Ich glaube, dass wir damit das Problem nur externalisieren und nicht die EU-interne Herausforderung lösen, eine starke digitale Wirtschaft aufzubauen, die auf Prinzipien wie Zusammenarbeit, Offenheit, fairem Wettbewerb und der Achtung der Menschenrechte beruht. Ich persönlich denke daher, dass wir aufhören sollten, überhaupt über digitale Souveränität zu sprechen, und sehr präzise Vorstellungen darüber formulieren müssen, was wir tun müssen, um eine faire und nutzerzentrierte digitale Transformation in der digitalen Wirtschaft zu erreichen.
Für eine weitere Perspektive haben wir auch Craigs Frage auch an Johannes Bahrke, Sprecher der Europäischen Komission, gestellt.
Das ist eine sehr wichtige Frage. Sie haben vorhin die Unabhängigkeit erwähnt – ich denke, dass völlige Unabhängigkeit eine Illusion ist, auch weil digitale Technologien dazu da sind, Menschen zu verbinden, so dass wir niemals völlige Unabhängigkeit erreichen werden. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir sie anstreben sollten, auch weil die Menschen manchmal mit den Lösungen zufrieden sind, die sie auf den von ihnen genutzten Plattformen finden.
Was wir anstreben müssen, ist das, was wir als Souveränität oder offene strategische Autonomie bezeichnen würden. Wenn Sie über die großen Online-Plattformen sprechen, ist es sehr wichtig zu beachten: Wir sind ein Markt, ein Markt von Unternehmen und von Menschen, die hier in Europa leben, mit 450 Millionen Nutzern. Deshalb sollten die Regeln, die es hier in Europa gibt, respektiert werden, und sie sollten von Europäern und in demokratischen Prozessen festgelegt werden. Aus diesem Grund hat die Kommission im Dezember 2020, also schon vor zwei Jahren, Gesetze zur Regulierung der großen Online-Plattformen vorgeschlagen. Sie heißen „Digital Services Act“ und „Digital Markets Act“, und die gute Nachricht ist, dass sie bereits verabschiedet wurden. Sie werden jetzt schon durchgesetzt, und es ist noch ein bisschen Zeit, bis sie in Kraft treten.
Dann werden wir die Regeln in der Europäischen Union nicht nur für amerikanische Unternehmen, sondern auch für chinesische und europäische Unternehmen festlegen. Es ist nicht wichtig, woher die Unternehmen kommen, wichtig ist, dass wir gleiche Wettbewerbsbedingungen und Unterstützung für die Nutzer haben. Das ist auch wichtig für die großen Unternehmen, die wissen, was sie zu tun haben, und es ist auch wichtig für clevere Wettbewerber, denn dann können sie sich weiterentwickeln und haben tatsächlich eine Chance, im Wettbewerb zu bestehen.
Wie kann Europa digitale Souveränität erreichen?
Könnte eine größere digitale Souveränität Europas dazu führen, dass die EU die Privatsphäre der Bürger:innen besser schützen und robuste digitale Innovationen fördern kann? Oder sind andere digitale Ziele viel wichtiger? Schreib uns einen Kommentar und wir leiten ihn an Politiker:innen und Expert:innen weiter!
Foto: Portrait: David Aussenhofer
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2 Kommentare Schreib einen KommentarKommentare
kann es das? angesichts unserer abhängigkeit von US Technologiekonzernen scheint mir das unrealistisch
wenn interessierts