Manche Arbeitgeber fordern von Arbeitern ständig erreichbar zu sein

Eine ausgewogene Work-Life-Balance ist wichtig für unsere Gesundheit

Kennst du diese Situation? Es ist Freitag Abend nach Feierabend und du möchtest dich eigentlich nur noch ausruhen und Zeit mit deinen Lieben verbringen, doch dann schreibt dir dein Chef eine E-Mail und du fühlst dich dazu verpflichtet sofort zu antworten und noch ein paar Aufgaben für die Arbeit zu erledigen…? So geht es vielen Menschen in Europa und die coronabedingte Heimarbeit hat diese Situation sogar noch verstärkt. Denn im Home Office verwischen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem noch mehr, sodass viele Menschen nicht mehr die Möglichkeit haben wirklich von der Arbeit abzuschalten und ungestört ihre Freizeit mit Freunden und Familie zu verbringen. Diese fehlende Work-Life-Balance kann schlechte Folgen für die physische und mentale Gesundheit von Arbeitern haben.

Um das zu ändern möchte das Europäische Parlament, dass das Recht auf Nichterreichbarkeit als Grundrecht anerkannt wird. Das Parlament fordert von der Europäischen Kommission Maßnahmen zu erarbeiten, die digitale Arbeitsmittel regulieren und es den Arbeitern ermöglichen außerhalb ihrer Arbeitszeit richtig abzuschalten. Kann ein solches Gesetz wirklich dabei helfen, die Freizeit von Arbeitern besser zu beschützen?

Was denken unsere Leserinnen und Leser?

Unser Leser Tristan fragt sich ob es im Leben nicht um mehr gehen sollte als um Arbeit. Er denkt, dass wir eine besser Work-Life Balance brauchen um wirklich glücklich zu sein. Was sind die Vorteile davon, komplett von der Arbeit abzuschalten?

Wir haben seine Frage an Alex Agius Saliba weitergeleitet, einem maltesischem Europaabgeordneten von der S&D Fraktion. Er ist der Berichterstatter des Parlaments für den Gesetzesvorschlag zum Recht auf Nichterreichbarkeit. Würde er Tristan zustimmen?

Definitiv, ich stimme der Aussage vollkommen zu, dass es ein Gleichgewicht in unserem Leben geben sollte zwischen der Arbeit und dem Genießen der Freizeit mit der Familie. Und das Recht auf Nichterreichbarkeit ist in diesem Zusammenhang wichtig, denn letztendlich haben wir zwar eine Gesetzgebung auf EU-Ebene, die unseren Arbeitnehmern ein Grundrecht auf wöchentliche und tägliche Ruhezeit gewährt, aber die Digitalisierung unseres Lebens und unserer Arbeitskräfte hat definitiv die Grenze zwischen Arbeitszeit und privater Zeit verwischt.

Und deshalb ist es von grundlegender Bedeutung, dass wir auf EU-Ebene zuallererst das Recht auf Nichterreichbarkeit definieren und gleichzeitig eine Reihe von Mindestanforderungen festlegen, die jeder einzelne Arbeitgeber erfüllen muss, denn ohne diese Mindestanforderungen kann man das Recht auf Abschalten nicht durchsetzen und das Grundrecht auf wöchentliche und tägliche Ruhezeit nicht genießen. Und das kann definitiv eine Menge helfen, wenn es darum geht, eine gesündere Belegschaft zu haben.  Denn in einer Situation, in der die Ruhezeit respektiert wird, wird unsere Belegschaft nicht weiter unter der Zunahme von psychischen Gesundheitsproblemen leiden. Deshalb glauben wir, dass das Recht auf Nichterreichbarkeit viel dazu beitragen kann, Stress, Isolation und Burnouts zu reduzieren.

Andrea findet, dass Diskussionen über Arbeiterrechte immer auf Fakten basieren sollten. Wenn man auf die Fakten schaut, kann man dann sagen, dass es in Europa im Moment ein Problem gibt, weil es kein Recht auf Nichterreichbarkeit gibt?

Wir haben Andreas Frage an Rebbekah Smith weitergeleitet, die sich als Deputy Director Social Affairs mit BusinessEurope für Firmen in ganz Europa für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit auf europäischer Ebene einsetzt. Was denkt sie?

Von unserem Standpunkt aus gesehen ist das kein Problem. Wir haben in Europa bereits Regeln zur Arbeitszeit, es gibt also bereits Regeln, die festlegen, wie viel Zeit die Menschen arbeiten sollten, wie viel Zeit sie pro Woche und auch pro Tag ruhen sollten. Wenn Menschen digitale Werkzeuge exzessiv nutzen, nicht nur bei der Arbeit, sondern auch außerhalb der Arbeit, ist das nicht unbedingt gut. Aber aus unserer Sicht ist es besser, wenn dies im Unternehmen intern geregelt wird, denn die Arbeitnehmer wollen auch mehr Flexibilität, also kann man hier keine Einheitslösung haben. Wir glauben, dass es viel besser ist, wenn dies im Unternehmen zwischen dem Management, den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften geregelt wird.

Wir haben die gleiche Frage auch dem Europaabgeordneten Alex Agius Saliba gestellt. Was denkt er?

Auf jeden Fall, und zwar nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt. Eine gesündere Belegschaft entsteht, wenn man nicht gezwungen ist, außerhalb der offiziellen Arbeitszeit produktiv zu sein. Und das ist auch ein wichtiger Punkt, warum wir das Recht auf Nichterreichbarkeit brauchen. Wir übernehmen leider viel von der amerikanischen und japanischen Kultur mit dem Motto „Arbeite bis du stirbst“. Das ist nicht der Weg in die Zukunft, das ist nicht die gesunde Variante, wenn es darum geht, wie man mit seinen Mitarbeitern umgeht. Und leider werden wir ohne das Recht auf Nichterreichbarkeit in einer Situation enden, in der unsere Arbeiter einfach als Roboter behandelt werden. Wenn Menschen wegen ihrer geistigen und körperlichen Gesundheit leiden, hat das eine Menge negativer Folgen haben, die nicht so leicht zu heilen sind. Das Recht auf Nichterreichbarkeit kann unserer Gesellschaft helfen, eine Menge Probleme zu verhindern.

Aber gleichzeitig können gesunde Mitarbeiter mit guter geistiger und körperlicher Gesundheit definitiv produktiver sein. In Skandinavien gibt es teils das System der Vier-Tage-Woche und gleichzeitig sind diese Länder immer noch wettbewerbsfähiger als andere traditionelle Arbeitskulturen in der Welt. Es ist also wirklich wichtig, dass wir die Arbeitszeit begrenzen und das Grundrecht auf Nichterreichbarkeit schützen, indem wir diese Gesetzgebung vorantreiben. Dies ist das erste Mal auf EU-Ebene, dass nicht ausgewählt wird, wer von der Gesetzgebung profitieren soll und wer nicht, wie es bei der Gesetzgebung in manchen Mitgliedsstaaten der Fall ist: In Frankreich zum Beispiel wird das Recht auf Nichterreichbarkeit nur den Unternehmen gewährt, die mehr als 50 Mitarbeiter beschäftigen. Das bedeutet, dass das Recht auf Nichterreichbarkeit nur für einen kleinen Teil (weniger als 10 %) der Belegschaft gilt, die als „Smart Worker“ definiert sind. Unsere Idee ist es, allen europäischen Arbeitnehmern dieses Recht zu gewähren und sie in den Genuss dieses Rechts kommen zu lassen, denn wir glauben, dass es sich um ein Grundrecht handelt und nicht um ein Recht, das nur einem kleinen Teil der Belegschaft zustehen sollte.

Leser Darius denkt, dass viele Menschen befürchten, dass sie als faul wahrgenommen würden wenn sie weniger arbeiten würden. Könnte ein Recht auf Nichterreichbarkeit dabei helfen diese Denkweisen zu ändern? Wie sieht Rebbekah Smith von Business Europe das?

Ich denke, zuallererst liegt es an den Menschen, wie viel sie arbeiten wollen. Aber natürlich hängen die Rechte und der Zugang, den man bekommt, auch davon ab, wie viele Stunden man arbeitet und wie hoch das Gehalt ist. Es ist also wichtig, das zu berücksichtigen, aber das ist eine persönliche Entscheidung. Und dann bin ich nicht davon überzeugt, dass ein Recht auf Nichterreichbarkeit diese Situation ändern würde. Ich denke, der Druck, E-Mails bis spät in die Nacht zu beantworten oder mehr zu arbeiten, kann natürlich manchmal von Managern kommen, aber auch von Kollegen oder von den Einzelnen selbst, die sich beweisen wollen. Und viel davon hängt mit der Kultur im Unternehmen zusammen. Gibt es eine Kultur, die das Arbeiten außerhalb der Arbeitszeit fördert oder nicht? Und aus unserer Sicht kann man eine Kultur und einen Arbeitsplatz nicht per Gesetz vorschreiben. Das kommt durch das Unternehmen, die Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern und Flexibilität auf beiden Seiten.

Brauchen wir ein Recht auf Nichterreichbarkeit?

Ist unsere Arbeitskultur des ständigen Erreichbarseins schlecht für unsere Gesundheit? Kann ein Gesetz zur Nichterreichbarkeit dabei helfen, die Freizeit von Arbeitern besser zu schützen?  Oder sollte das besser von jedem Unternehmen individuell geregelt werden? Was denkt ihr? Schreibt uns!

Foto: Bigstock (c) dolgachov



5 Kommentare Schreib einen KommentarKommentare

Was denkst du?

  1. avatar
    Hermann

    Was ist denn das überhaupt für eine Diskussion? Feierabend ist Feierabend ist Feierabend. Sollten mein Chef oder meine Kollegen jemals erwarten, dass ich nach Feierabend noch jemandem zur Verfügung stehe, dann is aber Handgemenge.

  2. avatar
    Paul

    Selbstverständlich – oder haben „wir“ uns an die Arbeit(splatz)-Geber verkauft?Wir in „“, weil Rentier ;-)

  3. avatar
    Peter

    Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit. Das es trotzdem alle umsonst machen spricht für Angst. Was ist denn an Angst schlimm?

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    Mathias

    Das Recht gibt es längst, einfach abschalten nach Feierabend.

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