
10 Jahre seit der Nuklearkatastrophe in Fukushima
Am 11. März 2011 erschütterte ein Erdbeben Ost-Japan und löste eine Nuklearkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi aus. In mehreren Reaktorblöcken kam es zu Kernschmelzen und große Mengen an radioaktiven Emissionen wurden freigesetzt und kontaminierten Luft, Wasser, Böden und Nahrungsmittel in der Umgebung. 25 Jahre nach der verheerenden Nuklearkatastrophe in Tschernobyl, warf der Unfall in Fukushima wieder die Frage auf, ob es gerechtfertigt ist die großen Risiken, die mit der Atomkraft verbunden sind, einzugehen. Hunderttausende Menschen in Europa protestierten auf den Straßen gegen die Nutzung von Atomkraft in ihren Ländern. In Folge dessen beschlossen mehrere europäische Länder, darunter Deutschland, aus der Atomenergie auszusteigen.
Wenn nicht Atomkraft, was dann?
Doch der Atomausstieg wird von vielen auch kritisch gesehen. Denn die Energie, die vorher von Atomkraft erzeugt wurde, muss jetzt auf eine andere Art und Weise hergestellt werden. Und im Vergleich zu Kohleverbrennung setzt Atomkraft deutlich weniger Treibhausegase frei. Deswegen fordern manche als Klimaschutzmaßnahme die Atomkraft weiter auszubauen. Wie seht ihr das? Ist der Einsatz von Atomenergie trotz der damit verbundenen Risiken gerechtfertigt, weil Atomkraft klimaschonender ist?
Was denken unsere Leserinnnen und Leser?
Für unseren Leser Wasim ist klar, dass die Risiken von Kernenergie immer über ihre Vorteile überwiegen werden.
Hat er mit seiner Einschätzung recht? Wir haben seinen Kommentar an den Europaabgeordneten Thomas Waitz weitergeleitet. Er ist ein österreichischer Biobauer und Forstwirt, der mit der Fraktion der Europäischen Grünen im Europaparlament sitzt. Was denkt er? Überwiegen die Risiken der Atomkraft?
Auf jeden Fall, ja. Wir haben es hier mit einer Technologie zu tun, die, wenn es einen Unfall gibt (und ich weiß, dass das nur selten vorkommt) riesige Verwüstungen anrichtet. Die Technologie hat einen enormen Einfluss auf Menschenleben, sie kostet Menschenleben, aber sie hat auch einen großen Einfluss auf die Natur. Und als Beispiel haben wir gerade die Situation in Kroatien gesehen: Kroatien hat ein Atomkraftwerk zusammen mit Slowenien und erst kürzlich hatten wir dort ein massives Erdbeben mit einer Stärke von mehr als 6,3 auf der Richterskala. Und wir hatten vor zwei Jahren ein weiteres Erdbeben, bei dem man die Schäden in Zagreb noch sehen kann. Es ist also im Grunde ein Spiel mit Menschenleben und den massiven negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Vor allem, wenn man Kernkraftwerke wie in diesem Fall auf seismischen Linien betreibt.
Für eine weitere Einschätzung haben wir Wasims Kommentar auch an Michael Shellenberger weitergeleitet. Er ist der Gründer und Präsident von Environmental Progress und Author des Buches Apocalypse Never. Was denkt er?
Als ich ein Kind war, hatte ich große Angst vor der Atomkraft. Ich assoziierte sie mit Atomwaffen, ich wuchs in den 70er und 80er Jahren auf und hatte große Angst davor. Und erst als ich anfing, mich mit dem Klimawandel zu beschäftigen und versuchte, Solar- und Windenergie auszubauen, wurde mir klar, dass wir Atomkraft brauchen, um Probleme wie den Klimawandel zu bewältigen. Also habe ich meine Meinung über die Kernenergie geändert und musste viele Mythen und Aberglauben überwinden, die die Leute haben. Der größte davon betrifft die Unfälle. Wenn man sich die Unfälle ansieht, ist der Hauptschaden, den sie verursacht haben, die Angst und die Panik. Schockierend wenige Menschen sind gestorben, darüber habe ich in meinem neuen Buch „Apocalypse Never“ geschrieben – insgesamt sind etwa 200 Menschen durch Tschernobyl gestorben, und niemand ist durch Three Mile Island oder Fukushima gestorben.
Atommüll ist die beste Art von Müll, denn er tut niemandem weh. Bei den Ängsten davor geht es in Wirklichkeit um Ängste vor Atomwaffen und wir werden die Atomwaffen nicht los, das wissen wir seit 75 Jahren. Wir haben also diese wirklich mächtige Technologie, und ich denke, die wachsende Zahl von uns Klimawissenschaftlern und Umweltschützern ist sich einig, dass wir sie für ihren höchsten Zweck nutzen sollten, nämlich zur Erzeugung von sauberem Strom. Ich denke also, dass die Menschen, wenn sie sich die Fakten über die Kernenergie ansehen, ihre Ängste überwinden werden, so wie ich und so viele andere Menschen es getan haben.
Unsere Leserin Maria auf der anderen Seite sieht deutliche Vorteile in der Atomkraft. Sie meint, dass Kernenergie genauso sauber ist wie erneuerbare Energien, aber viel zuverlässiger sind. Wie sieht der Europaabgeordnete Thomas Waitz das?
Nun, ich weiß nicht, ob Atomkraft zuverlässiger ist. Es gibt alle möglichen Probleme mit Uran – wo es produziert wird und auch die Mengen an verfügbarem Uran. Ich weiß nicht, ob man eine Technologie als zuverlässig bezeichnen kann, die direkt verwendet wird und auch damit verbunden ist, Material für Atombomben zu produzieren.Nun, man kann sich auf die Verwüstung verlassen, die Atombomben dann verursachen, wo auch immer sie abgeworfen werden. Und in der Tat verursacht der Bau von Atomkraftwerken auch einiges an CO2-Emissionen. Aber wenn man das Thema nur aus der Perspektive der CO2-Emissionen betrachtet, könnte es so aussehen, als ob es sich um eine Art „saubere Energie“ handelt.
Aber wenn man das Gesamtbild und die Gefahren, über die wir gesprochen haben, betrachtet, aber auch die absolut ungelöste Frage der langfristigen Lagerung von Atommüll, würde ich nicht sagen, dass dies eine zuverlässige Technologie ist, solange dieses Problem nicht gelöst ist. Und ja, die tatsächliche Energie, die aus einem Kernkraftwerk kommt, mag ein etwas besseres Bild abgeben als fossile Brennstoffe, aber wenn man auch die riesigen Mengen an Dampf berücksichtigt, die von Kernkraftwerken produziert werden, hat das auch einen negativen Einfluss auf das Klima. Es mag also grüner aussehen als fossile Brennstoffe, aber es ist überhaupt nicht vergleichbar mit erneuerbaren Energien. Wenn ein Windrad am Ende seiner Lebensdauer ist, kann man einfach den Stahl, das Kupfer und die anderen Materialien wiederverwenden. Aber Sie wissen, was mit einem Atomkraftwerk am Ende seiner Lebensdauer passiert – es sind einfach 10.000 Tonnen Atommüll, mit denen niemand etwas anzufangen weiß.
Was denkt Michael Shellenberger? Ist Atomkraft sauberer und zuverlässiger als Erneuerbare Energien?
Auf der ganzen Welt, auch in Kalifornien, Deutschland, Großbritannien, Australien und Texas, kämpfen die Menschen damit, eine Menge unzuverlässigen Solar- und Windstrom zu integrieren. Sie erzeugen nur dann Strom, wie jeder weiß, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht, was die meiste Zeit nicht der Fall ist. Die Zeiten, in denen wir diese Technologien brauchen, sind oft dann, wenn es richtig heiß oder richtig kalt ist. Wenn es sehr heiß ist, bedeutet das, dass kein Wind weht, und wenn es sehr kalt ist, was wir in Texas gesehen haben, sind die Windturbinen eingefroren. Als wir die Technologie vor 50 Jahren zum ersten Mal einsetzten, liefen die Anlagen nur etwa 55 % der Zeit, heute laufen Kernkraftwerke in den Vereinigten Staaten 92 % der Zeit. Sie sind die zuverlässigste Stromquelle und das ist wirklich wichtig. Denn die Wahrheit ist, dass all dieser Wohlstand, den wir genießen: unsere Krankenhäuser, unsere Schulen, unsere Kliniken, unsere Straßen, unsere Häuser, von Strom angetrieben werden, der 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche zur Verfügung stehen muss. Nur die Kernenergie kann das leisten, und zwar in einer Weise, wie es Solar-, Wind- und andere erneuerbare Energien nicht können.
Sind die Vorteile von Kernkraft größer als ihre Risiken?
Ist das Risiko einer nuklearen Katastrophe zu groß, um den Einsatz von Atomkraft zu rechtfertigen? Ist Atomkraft verlässlicher als Erneuerbare Energien? Können wir den Kampf gegen den Klimawandel ohne Atomkraft gewinnen? Was denkt ihr? Schreibt uns!
Foto: Vladyslav Cherkasenko on Unsplash
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