
Frauen verdienen im Durchschnitt 14,1 % weniger pro Stunde als Männer in der EU
Noch immer gibt es in vielen Teilen Europas ein deutliches Lohngefälle zwischen Männern und Frauen. Deutschland schneidet im europäischen Vergleich besonders schlecht ab; mit einem Gender-Pay-Gap von 20 % liegt es weit hinter Ländern wie Luxemburg zurück, wo der Gender-Pay-Gap nur 3 % beträgt. Für das anhaltende Lohngefälle gibt es mehrere Gründe: Frauen arbeiten häufiger in geringbezahlten Sektoren wie Pflege und Erziehung, sie arbeiten deutlich häufiger in Teilzeit als Männer und sind aufgrund der Gläsernen Decke in den Führungsetagen unterrepräsentiert. Doch Studien haben gezeigt, dass Frauen selbst dann häufig weniger verdienen als Männer, wenn Frauen und Männer genau die gleiche Arbeit machen und gleichrangige Positionen belegen. Wie kann man dieser Diskriminierung entgegenwirken?
Mehr Transparenz durch öffentliche Gehälter?
Doch wie kann man überhaupt herausfinden, ob ein*e Mitarbeiter*in mehr verdient als man selbst? Über Geld und Gehälter zu reden ist in Europa noch immer eher tabu. Das führt dazu, dass Frauen und marginalisierte Gruppen oft nicht wissen, dass sie diskriminiert werden. Folglich können sie auch nicht bei ihren Arbeitgebern oder vor Gericht gleiche Bezahlung einfordern. Deswegen arbeitet die EU daran, die Lohntransparenz in Europa zu verbessern. Der neueste Vorschlag sieht Maßnahmen vor, die Arbeitnehmer*innen u. a. das Recht auf Informationen über das Einkommen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die gleiche Arbeit verrichten, geben würde. Werden diese Maßnahmen helfen, das Lohngefälle zu beseitigen?
Was denken unsere Leserinnen und Leser?
Unser Leser Peter sorgt sich um den Gender-Pay-Gap in Europa und fordert von der EU, größere Transparenz in Bezug auf Gehälter zu fördern. Sollte es eine verbindliche EU-Richtlinie zur Lohntransparenz geben?
Wir haben Peters Kommentar an Maria Noichl weitergeleitet. Sie ist Abgeordnete im Europaparlament für die S&D Fraktion und Mitglied im Aussschuss für Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter. Außerdem ist sie die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments für die Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter der EU.
Vielen Dank für diese Frage, Peter. Die neue Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter kündigt in diesem Jahr ein entsprechendes EU-Gesetz an. Ein bedeutender Vorschlag, und es geht darum, verpflichtend gegen Niedriglöhne für Frauen vorzugehen. Wenn Informationen über das Lohnniveau verfügbar sind, dann ist es einfach, Lücken und Diskriminierung zu identifizieren. Aber das ist zur Zeit nicht immer der Fall. Aufgrund mangelnder Transparenz wissen viele Frauen nicht, dass sie unterbezahlt sind, oder sie können es nicht beweisen. Deshalb wird die Kommission bis zum Ende des Jahres verbindliche Maßnahmen zur Gehaltstransparenz vorschlagen. Ich finde das großartig! Das Europäische Parlament wartet und das Papier ist auf dem Weg, und ich denke, das ist eine gute Sache.
Auf der anderen Seite denkt unsere Leserin Effie, dass die Bezahlung jedes Mitarbeiters eine private Angelegenheit ist und deswegen nicht veröffentlicht werden sollte. Gibt es Probleme mit der Privatsphäre bei der Lohntransparenz?
Wir haben ihre Frage an Mary Collins von der European Women’s Lobby weitergeleitet. Als Senior Policy and Advocacy Coordinator setzt sie sich in der Öffentlichkeit und bei den europäischen Institutionen für die Gleichstellung von Frauen und Männern ein. Wie würde sie auf Effies Frage antworten?
Danke, Effie, du sprichst ein sehr wichtiges Thema in Bezug auf die Privatsphäre und persönliche Daten an. Es geht um die Kriterien, die bei der Beschreibung von Stellen oder Jobbeschreibungen verwendet werden, und den Wert, der diesen zugeschrieben wird. Diese Kriterien sind nicht personalisiert und sollten es auch nicht sein. Es ist schließlich eine strukturelle Frage. Jeder sollte also in der Lage sein, die Lohnstrukturen entsprechend der Position, die man besetzt, zu vergleichen. In diesem Sinne ist Transparenz wichtig, weil jeder in der Lage sein wird, sich mit Kollegen in ähnlichen Stellen zu vergleichen. Wenn zum Beispiel deine Stellenbeschreibung oder -bezeichnung nicht mit deiner tatsächlichen Arbeitsleistung übereinstimmt, kannst du dies anhand objektiver Kriterien vergleichen, was wir als Stelleneinstufung bezeichnen. So hast du Informationen und dank der Lohntransparenz kannst du die Situation entweder innerhalb deines Unternehmens anfechten und wenn dies nicht gelingt, kannst du vor Gericht gehen. Es ist auch sehr wichtig für Gewerkschaften, weil sie in der Lage sein werden, Lohnunterschiede im Rahmen von Tarifverhandlungen anzufechten.
Wie sieht die Europaabgeordnete Maria Noichl das?
Danke, Effie, für deine Frage, aber ich stehe auf der anderen Seite. Ich denke, Datenschutz und Privatsphäre ist wichtig, na klar. Meine Gegenfrage ist: Wie kann es sein, dass das Einkommen von Beamt*innen, zum Beispiel von Lehrer*innen, Polizist*innen, Politiker*innen und auch Pfarrer*innen öffentlich bekannt ist? Weil ihre Einkommenshöhe, ihre Einkommensgruppierung bekannt ist. Und ich denke, das ist in Ordnung. Es geht um den Spagat zwischen zwei Bedürfnissen, auf der einen Seite Privatsphäre, Datenschutz und auf der anderen Seite der ständige Bruch des Versprechens „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Dieses Versprechen hat Europa den Frauen schon vor Jahrzehnten gegeben, aber es wird jeden Tag gebrochen. Es muss endlich eine Sanktion geben.
Unser Leser Eibe denkt, dass der Gender-Pay-Gap den Kräften des freien Markts überlassen werden sollte. Würden Marktkräfte ausreichen, um den Gender-Pay-Gap zu schließen, wenn Löhne öffentlich gemacht würden? Wie sieht Mary Collins das?
Vielen Dank, Eibe, für deine Frage. Zunächst einmal ist der Markt leider nicht neutral und das spiegelt sich in Bezahlung und Arbeitsbedingungen wider. Auch im Jahr 2021 leben wir immer noch in einem sehr geschlechtergetrennten Arbeitsmarkt. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass Frauen in einer begrenzten Anzahl von Sektoren konzentriert sind – das Gleiche gilt auch für Männer. Was wir sehen, ist, dass in Sektoren, in denen Frauen arbeiten, ihre Entlohnung und ihre Arbeitsbedingungen tendenziell niedriger sind als in Sektoren, in denen Männer arbeiten. Viele Faktoren spielen hier eine Rolle, aber es liegt hauptsächlich an dem Wert, der der Arbeit von Frauen beigemessen wird.
Daher wird die Lohntransparenz dazu beitragen, den Wert aufzuzeigen, den wir als Gesellschaft den Sektoren, in denen Frauen arbeiten, entweder zugestehen oder nicht zugestehen. Frauen arbeiten häufig in menschenbezogenen Bereichen wie Gesundheit, Pflege, Bildung. Ich denke, dass dies zu Beginn der Pandemie sehr deutlich sichtbar war, daher ist es wichtig, einen Anstoß zu geben, um dies aufzudecken und das Lohngefälle zu schließen. Und die Gesetzgebung ist nur der Anfang, sie ist ein Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck. Um also auf deine Frage zurückzukommen – wenn wir allein auf die Marktkräfte warten, die von Männern und männlichen Entscheidungsträgern dominiert werden, wird das sehr, sehr lange dauern. Das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, wird also sicherlich dazu beitragen, diese strukturellen, tief sitzenden Geschlechterstereotypen aufzudecken, die zur Unterbewertung der Arbeit von Frauen führen, und das spiegelt sich in dem anhaltenden Lohngefälle zwischen den Geschlechtern wider. Die Frage der gleichwertigen Arbeit ist also wirklich der Kern der Lohntransparenz. Ich fürchte, dass die Marktkräfte dies bisher nicht erkannt haben.
Sollten Gehälter öffentlich sein, um den Gender Pay Gap zu schließen?
Brauchen wir eine verbindliche EU-Richtlinie zur Lohntransparenz um den Gender Pay Gap zu schließen? Schafft Lohntransparenz Probleme mit dem Datenschutz? Was denkt ihr? Schreibt uns!
Foto: Flickr (c) BPW Germany
7 Kommentare Schreib einen KommentarKommentare
Gibt es schon lange, nennt sich Tarifvertrag.
Wenn wir den „Gender-Pay-Gab“ transparent machen wollen, müssen wir ALLE Faktoren öffentlich machen. Also zum Beispiel auch die Krankentage.
Statistisch sind Frauen 14% öfter krank geschrieben als Männer:
https://www.iges.com/…/dak…/index_ger.html
Gehälter und co gehen keinen was an ausser die Vertragsbeteiligten
Das geht keinen was an .
Ich finde es eine gute Idee! Generell sollte es auch normaler werden über geld zu sprechen. Meine Mutter hat vor kurzem erfahren dass sie weniger als ihr Kollege verdient obwohl sie die gleiche Stelle haben, und sie sogar schon 1 Jahr länger dort arbeitet! Der Kollege wusste auch nicht dass er mehr bekommt und fand es auch unfair.
Da der unbereinigte Gendergap vor allem auf unterschiedlicher Berufswahl basiert, ist der Vorschlag Unsinn, da an der Ursache vorbei.
Es ist eine Schande, dass Frauen nicht gleichberechtigt sind! Warum dieses traditionelle Denken immer noch vorherrscht 😡 Eigentlich müsste eine Grundsatzentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof und durch das Bundesverfassungsgericht angestrebt werden!