
Auch im Jahr 2021 sind Naturwissenschaften immer noch Männer-Domänen
Obwohl es in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gab, stellen Frauen weltweit immer noch nur 30% der Wissenschaftler:innen dar und nur 35% der Studierenden in den sogenannten STEM oder MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Auch in der EU gibt es diese Geschlechter-Ungleichheiten, denn nur 41% aller Wissenschaftler:innen und Engenieur:innen in der EU sind Frauen. Doch gibt es hier auch große Unterschiede zwischen den europäischen Ländern: denn während in Lithauen, Bulgarien, Lättland, Portugal und Dänemark sogar mehr als die Hälfte der Wissenschaftler:innen Frauen sind, sind es in Ungarn, Luxemburg, Finnland und Deutschland nur weniger als ein Drittel. Wie kommt es, dass Frauen in den MINT-Feldern immer noch unterrepräsentiert sind? Und warum gibt es solche Unterschiede zwischen den europäischen Ländern?
Internationaler Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft
Die UNO hat genau dieses Phänomen erkannt und deswegen den 11. Februar zum internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft ernannt. Jährlich werden an diesem Tag Veranstaltungen besonders für Mädchen und Frauen organisiert mit dem Ziel mehr Frauen in den MINT-Fächern zu fördern. Das europäische Parlament hat zuletzt einen neuen Berichtentwurf zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern in Wissenschaft, Technologie und Mathematik vorgestellt. Aber ist es überhaupt wichtig, dass mehr Frauen in den MINT-Feldern vertreten sind?
Gender Gap in den MINT-Feldern
Zurzeit bleibt das Potenzial von vielen wissenschaftsinteressierten Frauen noch ungenutzt – oft trotz hoher akademischer Leistungen. Dabei haben Studien herausgefunden, dass Geschlechtervielfalt in Unternehmen wichtig dafür ist, Innovationen voranzutreiben und auch zu höheren Umsätzen führen kann. Technologie und Wissenschaft spielen eine immer größere Rolle in unserer Gesellschaft und werden unter anderem auch zentral bei der Bekämpfung des Klimawandels und anderen Umwelt-Problem sein. Genau in diesen Bereichen, die auch mit einer starken wirtschaftlichen Position verbunden sind, sind Frauen zurzeit besonders unter repräsentiert. Wenn sich daran nichts ändert drohen diese Ungleichheiten in der Zukunft noch größer zu werden. Also, wie können wir mehr Frauen in der Wissenschaft födern?
Was denken unsere Leserinnnen und Leser?
Unser Leser Pavel hat uns einen Kommentar geschickt, in dem er das Ergebnis einer Studie zitiert. Die Studie zeigt, dass Frauen unabhängig von ihren mathematischen Fähigkeiten weniger geneigt sind, MINT-Fächer zu studieren. Nur 23% der Frauen, in den drei höchsten Kategorien der PISA-Ergebnisse entschlossen sich für ein MINT-Fach, verglichen mit 39 % der Männer in den drei niedrigsten Kategorien der PISA-Ergebnisse. Wie kommt es, dass Frauen trotz guten akademischen Leistungen nicht so oft eine Karriere in der Wissenschaft verfolgen?
Diese Frage haben wir an Susana Solís Pérez weitergeleitet. Sie ist eine spanische Europaabgeordnete für die Renew Europe Fraktion und Mitglied im Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter. Sie ist die Berichterstatterin für den Berichtsentwurf zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern in MINT-Feldern. Was denkt Susana Solís Pérez über Pavels Frage?
Ja, Pavel hat Recht, es gibt mehrere Studien, die zeigen, dass junge Mädchen in den ersten Jahren ihrer Ausbildung große Leistungen in MINT-Kursen erbringen. Sie übertreffen die Leistungen von Jungen sogar, aber wenn sie in ihrer Ausbildung voranschreiten, sehen wir, wie sie nach und nach aus den MINT-Kursen aussteigen. Und die Gründe dafür sind vielfältig. Ich denke, sie reichen von eher biologischen Aspekten bis hin zu sozialen und psychologischen Aspekten. Zum Beispiel zeigen viele Studien, dass Mädchen ein geringeres Selbstvertrauen haben als Jungen, was einen großen Einfluss auf die Art und Weise hat, wie sie an mathematische Probleme herangehen. Ein weiteres Beispiel ist der Mangel an einem wirkungsorientierten Ansatz in MINT-Studien. Es hat sich herausgestellt, Frauen besonders an sozialen oder ökologischen Herausforderungen interessiert sind.
Wenn wir die Art und Weise, wie wir uns Wissenschaft und Technologie vorstellen, nicht ändern, werden wir die weibliche Bevölkerung nicht anziehen. Und dann werden wir wahrscheinlich etwas von dem großen Potenzial verlieren, das die Technologie hat, um Probleme wie den Klimawandel anzugehen. Weitere Gründe können der Mangel an weiblichen Vorbildern, die übermäßige Maskulinisierung von MINT-Lehrern und -Professoren und die bestehenden Stereotypen sein. All diese Variablen führen also dazu, dass Mädchen das Gefühl haben, nicht in MINT-Karrieren oder -Studien zu gehören.
Ein zweiter Kommentar wurde uns von Olga geschickt. Sie ist der Meinung, dass es mehr weibliche Vorbilder in den MINT-Fächern geben sollte. Sie schreibt: „Wir müssen die Geschichten von Frauen hören, die in ihren Berufen Erfolg haben. Besonders von Frauen aus Randgruppen, die es ganz alleine nach oben geschafft haben!“ Was hält Susana Solís Pérez von Olgas Vorschlag?
Ja, ich könnte dieser Aussage nicht mehr zustimmen. Wir brauchen definitiv mehr weibliche Vorbilder und wir müssen jungen Mädchen ein Beispiel geben. Wir müssen die traditionellen Stereotypen im Zusammenhang mit der Wissenschaft loswerden und auch die Arbeit anerkennen, die andere Frauen vor uns geleistet haben. Ich denke das kann auf verschiedene Arten geschehen. Ich habe zum Beispiel gelesen, dass in Spanien nur 7,6 % des Schul-Kurrikulums auf die Leistungen von Frauen verweisen. Lasst uns Frauen zurück in die Schulbücher bringen! Im Laufe der Geschichte wurde vielen Forscherinnen ihr Beitrag und die Urheberschaft an ihren Entdeckungen verweigert, und stattdessen ihren männlichen Kollegen zugestanden. Diese Diskriminierung, die wir „Matilda-Effekt“ nennen, erklärt, warum Frauen nicht in Lehrbüchern erscheinen. Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren diesen Matilda-Effekt loswerden können. Und ich glaube auch fest an Mentoring-Programme, um starke Netzwerke zu schaffen und Frauen zu stärken. Ich glaube auch, dass die Medien sich in die richtige Richtung entwickeln. Nach und nach sehen wir mehr weibliche Vorbilder und geben den Frauen mehr Sichtbarkeit.
Leser Gatis denkt, dass vor allem der Ehrgeiz und die Ziele von einzelnen Menschen bestimmen, wie erfolgreich sie in ihrem Beruf sein werden. Er denkt, dass Frauen, die eine MINT-Karriere anstreben, sich nur ausbilden und bewerben müssen, dann stünden ihnen alle Türen offen, genauso wie Männern. Ist es so einfach wie Gatis es beschreibt? Gibt es Chancengleichheit von Männern und Frauen in MINT-Unternehmen? Was denkt Susana Solís Pérez?
Ich fürchte, es ist nicht so einfach, wie Gatis es beschreibt. Denn um den Gender Gap in den MINT-Berufen zu verringern, müssen wir Maßnahmen vorschlagen, die die Auswahl an möglichen Wahlmöglichkeiten einer Frau um Alternativen erweitern. Aber wir sollten niemandem seine Entscheidung vorschreiben, das ist wichtig. Bildungspolitische Initiativen müssen ein förderliches Umfeld schaffen, aber gleichzeitig die individuellen Entscheidungen respektieren. Abgesehen davon sollte das Hauptziel darin bestehen, die Barrieren zu beseitigen, die die Interessen von Frauen verzerren und auch die Angebote mindern, wie Geschlechterstereotypen und Diskriminierung. Dazu gehört auch eine Überschneidung von biologischen und sozialen Faktoren. Zum Beispiel die Überschneidung der optimalen Gebärjahre von Frauen mit den produktivsten Jahren in weiblichen Karrierewegen. Gleichzeitig gibt es zusätzliche Hürden, die Frauen überwinden müssen, um sich weiterzuentwickeln und die „glass ceiling“ zu durchbrechen, und das ist besonders in MINT-Trägern der Fall. Die ungleiche Zusammensetzung von MINT-Teams und -Unternehmen macht es Frauen in diesem Umfeld besonders schwer, sich zu entfalten. Und das liegt zum Teil daran, das Organisationen in der Regel einer männlichen Perspektive entsprechen und Elemente, die das Leben einer Frau oft prägen, nicht berücksichtigen. Wie zum Beispiel die ungleiche Verteilung von unbezahlter Arbeit zwischen Männern und Frauen oder dass die Hauptzeit der Kindererziehung in der Regel in die Jahre mit der höchsten Arbeitsleistung fällt.
In der Diskussion darum mehr Frauen in MINT-Feldern zu fördern kommt auch immer wieder die Idee einer Frauenquote auf. Unsere Leserin Louise schreibt uns zu diesem Thema, dass „Quoten in einer idealen Welt nicht notwendig sein sollten, aber sie sind ein Weg Unternehmen dazu zu zwingen mehr Frauen einzustellen und vielleicht die Denkweisen zu ändern. Wie sieht Susana Solís Pérez das?
Ich denke nicht, dass der Schwerpunkt der Diskussion auf Quoten liegen sollte. Ich denke, wir sollten uns auf Verbesserungen bei der Reduzierung des Gender Pay Gap, auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, auf Fortschritte bei der Elternzeit, auf Transparenz in Organisationen und auf die Ermutigung von Frauen sich gegen Ungerechtigkeiten auszusprechen, konzentrieren. Wie Louise sagt, in einer idealen Welt bräuchten wir Quoten nicht, aber wir haben gesehen, dass der Unterschied zwischen Ländern, die ein Quotensystem eingeführt haben, und solchen, die nicht-verpflichtende Maßnahmen einführen, enorm ist. Und um den Außenseitereffekt zu reduzieren, der Frauen aus Teams heraushält, insbesondere in den Spitzenpositionen, könnten wir temporäre Maßnahmen einführen.
Ich denke, dass temporäre Quoten, die die Art des Unternehmens berücksichtigen, also ob es sich um ein öffentliches oder privates Unternehmen handelt, ein guter erster Schritt sein können. Und sobald wir die Geschlechterparität erreicht haben und Frauen Teil des Entscheidungsprozesses sind, sollten die Unternehmen meiner Meinung nach das Recht behalten, auf der Grundlage von Verdiensten zu entscheiden, wer Teil eines Vorstands sein sollte. Meiner Meinung nach sollte dies eine vorübergehende Maßnahme sein, um die Diskussion zu verändern, und keine dauerhafte. Deshalb fordern wir die Europäische Kommission auf, so schnell wie möglich die Richtlinie „Frauen in Führungspositionen“ vorzulegen, weil es wichtig ist, dass wir diese Debatte hier im Europäischen Parlament so schnell wie möglich eröffnen.
Wie können wir mehr Frauen in der Wissenschaft fördern?
Woran liegt es, dass immer noch verhältnismäßig wenige Frauen eine MINT-Karriere verfolgen? Brauchen wir mehr weibliche Vorbilder? Und wäre eine Frauenquote sinnvoll? Wie seht ihr das? Schreibt uns!
Foto: Unsplash @thisisengineering. Portait: © European Union 2020
11 Kommentare Schreib einen KommentarKommentare
Wir brauchen keine weitere Vorbilder, sonder Sexismus abzuschaffen.
„Wie kommt das?“ LOL
Echt? Hätte ich nicht gedacht. Frauen studieren heute überproportional. Im Fernsehen sehe ich häufiger Wissenschaftlerinnen als Wissenschaftler. Weibliche Vorbilder gibt es jede Menge.
Es geht nicht nur ums Studium. Die Stellen nach der Promotion an Universitäten und Forschungsinstituten sind fast ausschließlich befristet und man steht unter enormem Druck, Veröffentlichungen zu „liefern“, genau in der Lebensphase, in der Frauen Kinder bekommen.
Da liegt im deutschen System einiges im Argen, weil es überhaupt keine Planungssicherheit gibt und man für neue Stellen mit Umzügen quer durch Europa rechnen muss. Dabei sind Frauen durch die Lebensumstände eben mehr benachteiligt als Männer.
Es gibt viele Wissenschaftlerinnen, die Beruf und Familie wunderbar unter einen Hut bekommen, aber sie müssen dabei sehr belastbar und extrem gut organisiert sein – zumindest mehr als Männer in vergleichbaren Positionen, auch wenn es keine gesetzliche Benachteiligung gibt.
In GB gibt es zum Beispiel die Stelle des „Lecturers“. Man ist unbefristet als Dozent/-in angestellt und kann sich hocharbeiten über die Stufen Senior Lecturer und Reader zum Professor werden – oder auf einer der unteren Stufen bleiben.
In DE *darf* man oft nicht vorher an derselben Uni gearbeitet haben, wenn man Prof werden möchte, damit es keine Kungelei gibt. Es gibt inzw. häufiger Stellen, bei denen man vom Juniorprof zum Prof befördert werden kann – aber wenn die Leistung nicht stimmt, wird man arbeitslos.
Ja, das betrifft aber sowohl Frauen als auch Männer beziehungsweise die ganze Familie.
Habe Physik studiert. An meiner Uni gab es extra Veranstaltungen für die Mädels (Seminare, psychologische Unterstützung). Lehrstellen wurden klar nach Geschlecht besetzt und Finanzen auch ebenso verteilt (Quelle: Prof meiner Arbeitsgruppe war Institutsleiter). Geholfen hat das alles nicht, denn die Mädels blieben schlicht nicht länger als ein paar Semester. Als ich fragte wieso, sagten sie, daß Studium ist sehr hart und man muss auf viel verzichten, unter anderem soziale Kontakte.
Vielleicht sollten wir uns nicht fragen, warum Mädels kein Bock auf mint Fächer haben, sondern warum überhaupt jemand sich dieser Qual unterzieht. Humane Anforderungen würden allen helfen.
Setzt das nicht den freien Willen voraus?
Wieso sollte man das?Man könnte darauf achten dass ihnen, zb auf Universitäten, keine zusätzlichen Hürden in den Weg gelegt werden.In der Privatwirtschaft ist der Trend zu einem mehr an Frauen welche in Forschung & Entwicklung tätig sind anhaltend und offenkundig.