
Am 27. Januar ist internationaler Holocaust-Gedenktag
Am 27. Januar 1945 befreiten Truppen der Roten Armee das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Auschwitz ist als größtes deutsches Konzentrationslager zu einem Symbol für den Völkermord an 6 Millionen Juden geworden. Deswegen erklärte die UNO diesen Tag 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust und jedes Jahr werden zahlreiche Gedenkveranstaltungen u.a. im Bundestag, im Europaparlament und an vielen Gedenkstätten organisiert (dieses Jahr finden viele Veranstaltungen online statt). Sie alle verfolgen das Ziel, die Erinnerung an den Holocaust auch in unserer Zeit wachzuhalten, und stehen gleichzeitig als Mahnung, dass sich solche Verbrechen gegen die Menschheit nie wiederholen dürfen.
Funktioniert unsere Erinnerungskultur noch?
Gedenkveranstaltungen wie diese sind Teil der „Erinnerungskultur“ in Deutschland und Europa. Der Begriff bezeichnet den Umgang von Einzelnen und der breiten Gesellschaft mit ihrer Geschichte. Nach einer langen Zeit des Vergessens und Verdrängens in der Bundesrepublik, änderte sich die Einstellung in Deutschland in den 1980er-Jahren. Die gemeinsame Erinnerung an die Menschheitsverbrechen der Nazis und ihre Opfer wurde als Vorraussetzung für die Versöhnung gesehen, aber auch um sicherzustellen, dass sich der Hass und die Gewalt gegen Juden, die im Holocaust gipfelten, nie wiederholen werden. Heute mehren sich jedoch die Stimmen, die sagen, dass der Holocaust schon so lange her ist, dass die Erinnerungskultur nicht mehr notwendig ist. Einige meinen, dass man in der Schule zu viel über den Holocaust sprechen würde und dass es Zeit sei, einen Schlussstrich unter das gesamte Thema zu ziehen. Ist das Thema nicht mehr aktuell?
Vergessen wir wieder?
Studien deuten darauf hin, dass deutsche Schüler keinesfalls zu viel über den Holocaust lernen. Im Gegenteil. Laut einer Studie wissen 40 % der Deutschen im Alter zwischen 18 und 34 Jahren nach eigener Einschätzung wenig bis nichts über den Holocaust, und in Europa haben 20 % der jungen Menschen noch nie vom Holocaust gehört. Müssen wir die Art und Weise, wie wir in der Schule über den Holocaust unterrichten, ändern? Könnten zum Beispiel Besuche in den Gedenkstätten von ehemaligen Konzentrationslagern mit der Schule ein größeres Bewusstsein schaffen?
Seit Jahren nimmt die Gewalt gegen Juden in Europa zu
Der Anschlag auf die Synagoge in Halle, bei dem ein Rechtsextremist versuchte, einen Massenmord an den versammelten Juden zu begehen, erschütterte Deutschland 2019. Doch er war nur die Spitze des Eisbergs, denn schon seit Jahren nehmen antisemitische Straftaten, besonders Gewalttaten, in Deutschland zu. Die Entwicklung in anderen europäischen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich oder Polen, ist dabei ähnlich. Antisemitische Verschwörungstheorien wie Q-Anon befeuern zurzeit den bereits seit Jahren wachsenden Antisemitismus noch. Angesichts dieser Entwicklungen – müssen wir unsere Erinnerungskultur ändern?
Was denken unsere Leserinnen und Leser?
Unser Leser Jan hat uns einen Kommentar geschickt, in dem er darauf hinweist, dass eine Umfrage zwei Monate vor dem Anschlag in Halle herausfand, dass „24 % der Deutschen glauben, dass ‚Juden‘ zu viel Einfluss auf die Weltpolitik haben, und 27 % stimmten einer Reihe von antisemitischen Vorurteilen und Aussagen zu. Ähnliche Umfragen in anderen europäischen Ländern bringen oft identische oder noch negativere Ansichten zu Tage. Sehr häufig finden Leute, dass dem Holocaust zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.“ Angesichts dieser alarmierenden Statistiken, müssen wir unsere Erinnerungskultur ändern? Und wenn ja, wie?
Diese Frage haben wir an die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann weitergeleitet. Sie war bis vor Kurzem Professorin an der Universität Konstanz und wurde 2018 gemeinsam mit ihrem Mann Jan Assmann für ihre Forschungen zur Erinnerungskultur mit dem Friedenspreis des Frankfurter Buchhandels ausgezeichent. Wie antwortet Aleida Assmann auf Jans Frage?
Als nächstes haben wir einen Kommentar von Pedro erhalten. Er betont, dass die „dunkle Vergangenheit Europas“ noch gar nicht so lange vorbei ist und fordert, dass wir auch auf europäischer Ebene an den Holocaust erinnern müssen, damit sich der Holocaust nie wiederholt. Wie sieht Aleida Assmann das?
Wir haben Pedros Frage auch anden Historiker Dr. Axel Drecoll weitergeleitet. Er ist der Direktor der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen. Was denkt er?
Außerdem haben wir einen Kommentar von John erhalten, in dem er davon erzählt, was für einen großen Eindruck seine Besuche in Konzentrationslagern auf ihn gemacht haben. Bei seinen Besuchen hat er nie gedacht, dass der Holocaust niemals wieder passieren könnte. Sollten alle Jugendlichen einmal mit der Schule ein Konzentrationslager besuchen?
Für eine Antwort auf seine Frage haben wir Dr. Axel Drecoll gefragt. Was denkt er, als Leiter der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen?
Müssen wir unsere Erinnerungskultur ändern?
Was sollten wir gegen den wachsenden Antisemitismus tun? Sollten wir auch auf europäischer Ebene dem Holocaust gedenken? Sollten Besuche in Konzentrationslagern für Schüler verpflichtend sein? Was denkt ihr? Schreibt uns!
Foto: kruwt (c) Bigstock
13 Kommentare Schreib einen KommentarKommentare
Clearly yes.
und genau das ist das Trauma der Deutschen Politik sagt einer Nazi und schon sind die Grenzen auf
Ich persönlich bin der Meinung, dass wir natürlich an diese schrecklichen Geschehnisse ausgiebig und ausführlich erinnern sollen.
Was ich aber persönlich sehr wichtig fände, ist dass wir einen Weg finden müssen eindrucksvoll und schmerzhaft zu vermitteln, dass es möglich wäre, „dich“ und deine Klassenkameraden dazu aufzuwieglen solche Verbrechen zu begehen. Manche mit Zwang, manche durch Lüge, manche durch Bequemlichkeit, manche wegen ihrer Gier, manche, weil sie es richtig geil finden würden.
Erinnerungskultur darf nicht nur bedeuten, über geschehene Greuel zu sprechen; Sondern auch darüber, dass diese Greuel fortbestehen und in jedem von uns schlummern; Dass die Existenz eines Menschen und einer Gesellschaft zu einem erheblichen Teil auch ein beständiger Kampf ist, nicht die grausame und oft so banale Ekelhaftigkeit, die in jenem und jener schlummert, die Oberhand gewinnen zu lassen.
Am Ende eines solchen Unterrichts muss man sich schuldig fühlen; Nicht weil man tatsächlich etwas mit den Greueltaten zu tun hatte, „aber es auch wenig Unterschied macht“, weil man vermutlich mitgemacht hätte oder mitmachen würde.
Ich hoffe dass heißt nicht einfach noch mehr 2. Weltkrieg in Geschichte. Jahrelang hatten wir nur das Thema Nationalsozialismus. Undhaben natürlich auch ein KZ besucht. Oder gibt es da Disparitäten zwischen Hauptschule, realschule und gymnasium?
Ich glaube, es ist vor allem wichtig, dass in der Schule mal mehr vermittelt wird, um was es da wirklich ging. Wir haben damals immer nur gelernt „wie schrecklich“ alles war, aber nie was denn daran so grausam war. Es gäbe so viele Dinge, die man zeigen könnte (Ausschnitte aus diesem Video, welches die Amerikaner aufgenommen haben z.B.) welche das dann auch mal verdeutlichen.
Als Kind/Jugendlicher ging nach dem Lehrstoff eher eine spanende Faszination von KZs für mich aus, weil ich immer nur gelernt habe „schlimm, schrecklich, grausam“ aber nie Details erfahren habe. Dazu muss man dann selbst recherchieren – und wie schnell man dann wenn man nicht vorsichtig genug ist bei irgendwelchen Rechten landet sollte ja klar sein.
Ich denke, dass die Erinnerungskultur überaus notwendig ist, also insofern auch nicht in Frage gestellt werden sollte bzw. darf. Aber es ist auch richtig, darüber nachzudenken, wie das damit verbundene Anliegen vielleicht noch besser vermittelt werden könnte. Von daher wäre es gut, wenn der Blick zurück immer auch ein Blick in die Zukunft beinhaltet und im Hinblick auf die Gegenwart geschieht. Bei aller Singularität des Holocaust ist er immer auch ein Hinweis auf die vielen Menschheitsverbrechen weltweit und eine Mahnung, jeglicher Form von Zersetzung und Zerstörung der Menschenwürde, der Freiheitsrechte und der Demokratie entgegen zu treten.
Also in meiner Schule haben wir das Thema Holocaust echt intensive behandelt. Ich kann mir garnicht vorstellen, dass 40% der jungen Deutschen so wenig über den Holocaust wissen. Das ist echt erschreckend. Da muss sich umbedingt was tun. Ich denke mal Bildung ist immer ein guter Weg so etwas anzugehen. Anscheinend haben aber nicht alle guten Geschichtsunterricht so scheint es.
Halle sollte selbst für die letzten ein Aufrüttler gewesen sein. Der Antisemitismus ist in der Tat wieder salongfähig geworden und die jetzt krigen die Leute auch noch antisemitische Verschwörungstheorien über social media reingedrückt. Ich könnte kotzen.
Was ich ganz wichtig finde, ist dass jede Art von Antisemitismus geahndet wird. Egal ob er von den Rechtsextremen kommt oder von exremistischen Muslimen. Denn beide sind gefährlich, für die Juden in Deutschland und auch für unsere Demokratie.
Also ich war zwar mit der Schule nicht in einem KZ aber in einem NS-Dokumentationszentrum und das fand ich damals auch total beeindruckend. Es ist was anderes ob man nur über ein Verbrechen liest, oder ob man sieht wo es stattgefunden hat, was die Opfer hinterlassen haben etc. Nicht jede Schule ist nahe an einem KZ, aber ich bin mir sicher, dass es überall Gedenkstätten in der Nähe gibt, die man mit der Schule besuchen kann. Das sollte drin sein!
Stimmt. Es wäre absolut notwendig einen stärkeren Fokus auf das Thema Totalitarismus und auch seine verschiedenen Gesichter und Gefahren zu setzen.
Das angestaubte Mantra „Nie wieder!“, sollte auch überdacht werden. Es wird voraussichtlich nie wieder ein nationalsolzialistisches Regime in Deutschland geben, dass Hitlers Verbrechen 1zu1 versucht zu wiederholen. Wir hatten allerdings seit 1945 mehrere Fälle von Völkermord und mörderischen Totalitarismus auf der Welt, die anders, aber teilweise ebenso tödlich waren.
Es ist wichtig, dass die Bürger von morgen gegen jede Form dieser Versuchung widerstandsfähig sind.
Dem Holocaust muss natürlich weiterhin gedacht werden, aber auch die Formen des Andenkens müssen mit der Zeit gehen. Bisher war es von den Opfer/Täter-Generationen und deren Kindern geprägt. Die sterben aber bald aus und die Enkel und Urenkel werden neue Wege finden müssen, das Gedenken aufrecht zu erhalten.
Dies.
Soviele denken sie hätten da niemals mitgemacht. Sie hätten und wenn nicht wären sie Spdler gewesen, was auch nicht so viel besser ist ;)
Erinnerungskultur kann nur funktionieren, wenn die Menschen sich mit der Vergangenheit beschäftigen.
Den Satz “ Milionen Juden ermordet“ spricht man in wenigen Sekunden aus, ist nach den Minuten der angesagten Erinnerung bald vergessen, eben weil es nur eine Zahl ist.
Wer das verinnerlichen will, muß sich schon intensiv damit beschäftigen, erst dann wird diese ungeheuerliche Komplexität im Gehirn aufgenommen. Es gibt sehr viele Dokumentationen von Zeitzeugen… und ja man muß sich dafür viel Zeit nehmen. Aber erst dann wird einem bewußt, woran wir uns erinnern müssen !
Jene hatten keine Zeit !
Gruß vom Arbeitsplatz hartmut