Die Ungleichheit in Europa ist schwer zu messen.

Betrachtet man die Einkommen, so hat sich die Ungleichheit seit der Finanzkrise 2008 nicht unbedingt verschlechtert. Betrachtet man jedoch die Vermögensungleichheit einschließlich Immobilien, Aktien, Investitionen usw., dann ist der Unterschied zwischen den Reichsten der Gesellschaft und den Ärmsten dramatisch. Dieser stetig wachsende Unterschied kann Gesellschaften so sehr spalten, dass eine Demokratie nicht mehr funktioniert. Andererseits stehen europäische Länder im Vergleich mit den USA nicht schlecht da. Gibt es also Grund zur Sorge?

Was denken unsere Leserinnen und Leser?

Unsere Leserin Julia schlägt Steuern als Instrument vor, sie argumentiert dafür, die „Megareichen zu besteuern.“ Ist das so einfach, wie sie sagt? Wir haben bei Gary Stevenson nachgefragt, der sich als Ökonom mit Vermögensungleichheit auseinandersetzt. Hält er Julias Vorschlag für sinnvoll?

Julia klingt nach jemandem, mit dem ich mich wahrscheinlich gut verstehen würde. Es ist im Grunde genau das, worauf ich in meinen Veröffentlichungen dränge. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass unser derzeitiges Steuersystem sehr gut darin ist, hohe Einkommen zu besteuern – ob man nun Fußballer oder Bankier ist. Aber es ist wirklich nicht gut darin, Menschen zu besteuern, die ein sehr hohes Vermögen haben; unser Steuersystem ist nicht auf Einkommen durch Trusts oder Kapitalgewinne ausgelegt.
Folgende Situation ist dadurch möglich: Jemand aus armen Verhältnissen, der ein hohes Einkommen erzielt – 50.000 Pfund, 100.000 Euro – zahlt eine Menge Steuern, während der Herzog von Westminster, der 9 Milliarden geerbt hat und wahrscheinlich noch nie in seinem Leben gearbeitet hat, keine Steuern zahlt. Wenn wir also eine Situation haben, in der die sehr, sehr, sehr Reichen keine Steuern zahlen, während die einfachen arbeitenden Menschen hohe Steuern zahlen, wird die Ungleichheit immer größer werden. Ich würde Julia also wirklich voll und ganz zustimmen. Wir müssen die Besteuerung der sehr, sehr, sehr Reichen überarbeiten, insbesondere der Menschen, die ihr Einkommen nicht aus Arbeit beziehen, sondern einfach nur Vermögen sammeln und mit der Zeit wachsen lassen.

Für eine weitere Perspektive sprachen wir mit Marc Morgan, einem Ökonomen, der am World Inequality Lab der Pariser Hochschule für Wirtschaft arbeitet. Was sagt er zu Julias Kommentar?

Wenn die Frage lautet, ob eine Besteuerung ein nützliches Instrument ist, um Ungleichheit zu verringern, dann ist die Antwort Ja. Vor allem, weil sie direkte und indirekte Auswirkungen auf die Verringerung des Einkommens oder Vermögens einer bestimmten Person hat. Die Besteuerung entzieht den Menschen direkt Einkommen, und das ist der direkte Weg zur Verringerung des Einkommens, vor allem, wenn höhere Sätze für diejenigen gelten, die mit höherem Einkommen an der Spitze der Verteilung stehen.
Aber auch indirekt können hohe Steuersätze, vor allem an der Spitze, den Effekt haben, dass Spitzenverdiener davon abgehalten werden, sich selbst so viel mehr zu bezahlen. Die Forschung hat herausgefunden, dass die Leute im Kontext sehr hoher Steuersätze am Ende davon abgehalten werden, ihr Einkommen stark zu erhöhen. Vor allem, wenn sowieso das meiste davon an die Regierung geht.
Steuern sind also eine sehr gute Möglichkeit, die Verteilung gleichmäßiger zu gestalten, indem man denjenigen, die mehr verdienen, mehr Einkommen entzieht als denjenigen, die weniger verdienen. Ich denke also, es gibt reichlich Spielraum, um die Steuern für Besserverdienende zu erhöhen, nicht nur in Bezug auf das Einkommen, sondern auch auf das Vermögen und damit auf das Kapitaleinkommen, das sie aus diesem Vermögen beziehen.

Wie können wir soziale Ungleichheit in Europa verringern?

Was sind wirksame Ansätze? Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern, ein Spitzensteuersatz? Was denkt Ihr?

Foto: Flickr (cc) ilirjan rrumbullaku

Diese redaktionell unabhängige Debatte wurde von der Cariplo Stiftung finanziert. Mehr dazu in unserem FAQ.



2 Kommentare Schreib einen KommentarKommentare

Was denkst Du?

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    Martin

    Kontrollierte Migration sowie Abschaffung des Niedriglohnsektors.

  2. avatar
    Inge

    Die müssen die Korruption in ihren Ländern unterbinden. Dann klappts auch mit dem Sozialstaat. Es kann und wird nicht jedes EU Land unseren Sozialstaat erreichen. Es ist auch nicht gewollt.

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