Auf dem Papier haben wir inzwischen die gleichen Rechte. Vielleicht hat der Feminismus daher einen schlechten Ruf oder zumindest können nur wenige etwas mit dem Begriff anfangen – wie zuletzt Kanzlerin Merkel selbst. Dabei geht es doch einfach nur um die Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung von Frauen. Dann sind wir doch alle Feministen, oder?

Vielen geht der alltägliche Kampf inzwischen zu weit: Die Mädchen sind doch schließlich besser in der Schule, werden besser gefördert und machen die besseren Abschlüsse. Dann sollten doch die besten Startbedingungen geschaffen sein. Doch damit endet meist auch in der EU die Erfolgsgeschichte. Ob es um Gehalt, die Verteilung der Jobs oder Karrierechancen geht, stehen die Männer besser da. Nur eine von drei Führungskräften in der EU ist eine Frau und sie verdient im Schnitt fast ein Viertel weniger als ein Mann. Dabei ist Deutschland eines der Schlusslichter. Während hier vor allem einige osteuropäische Staaten besser dastehen, ist in Deutschland nur ein Viertel des Führungspersonals weiblich. Aber das sind nicht die einzigen Probleme. Spätestens seit der #metoo Debatte wissen wir von sexualisierter Gewalt in der Öffentlichkeit, im Beruf und Zuhause.

Dennoch bleibt der Nutzen von Feminismus umstritten. Auch viele unserer Leser haben das Thema leidenschaftlich diskutiert. Wir haben den Expertinnen eure Fragen gestellt.

Leserin Anna ist zum Beispiel überzeugt, dass Feminismus in der Vergangenheit wichtig war, aber zum Beispiel der Gender Pay Gap ein Mythos ist. Sie glaubt, dass es woanders vielleicht noch Probleme bei der Gleichberechtigung gibt, aber sicher nicht in Europa.

Wir haben bei Professorin Miriam Gebhardt nachgefragt. Sie ist Historikern an der Universität Konstanz und hat sich als Autorin und Journalistin mit vielen Aspekten des Feminismus auseinandergesetzt. Was sagt sie? Haben wir wirklich keine Probleme mehr mit Gleichberechtigung in Europa?

Ich würde sagen, dass die Gerechtigkeitsfragen auf dem Papier also in Gesetzen weitegehend geklärt sind, aber es dauert eben lange, bis sich alles gesellschaftlich umsetzen lässt. Darauf zu achten, ist ein Teil des Feminismus.

Der Gender Pay Gap ist wiederholt nachgewiesen worden. Es gibt zwei Zahlen: Insgesamt haben wir in Deutschland bei der Bezahlung einen Unterschied von 21 Prozent bei Männern und Frauen; wenn man die Unterschiede bei den Arbeitszeiten und der Hierarchie abzieht (Frauen arbeiten ja meist in Teilzeit und auf weniger lukrativen Posten), dann bleiben immer noch 7 Prozent übrig. Diese Zahlen kann man überall nachprüfen. Wenn wir beim Thema Geld bleiben, ist das nicht das einzige Problem. Frauen sind zum Beispiel auch viel häufiger von Altersarmut betroffen als Männer, eben auch weil wir diese Unterschiede in der Berufsphase haben. Das Finanzielle ist also ein großes Problem.

Dann sind Frauen viel häufiger von sexueller Gewalt im öffentlichen Raum betroffen als Männer. Zugangsmöglichkeiten in der Politik sind auch ein Thema, gerade die aktuelle Regierung hat wieder viel mehr männliche Repräsentanten…Sie können sich vielleicht an das Foto von Minister Seehofers Innenministerium erinnern, das die neuen Posten ausschließlich mit Männern besetzt hat.

Aber auch wenn wir von diesen formalen Fragen wegkommen, sind inhaltliche Fragen entscheidend. Für wen wird Politik gemacht? Wie investiert der Staat Geld? Ob beim Freizeitsport oder in der Wissenschaft wird eher in die traditionell männlichen Bereiche investiert, die auch besser angesehen sind. Wir haben also noch ein weites Feld zu beackern!

Für eine weitere Meinung fragten wir auch bei Ann Widdecombe nach, sie ist eine ehemalige Politikerin der britischen Konservativen und Autorin. Stimmt Sie Leserin Anna zu, dass um Gleichberechtigung eher außerhalb Europas gekämpft werden muss?

Ja, ich stimme 100 Prozent zu, vor allem wenn wir den heutigen Feminismus betrachten.

Es ist ungesetzlich, wenn ein Arbeitgeber einer Frau für die gleiche Arbeit weniger bezahlt als einem Mann. Jetzt geht es doch darum, wie und was wir miteinander vergleichen. Die Statistik verweist auf weniger Gehalt bei Frauen, weil sie öfter in Teilzeit arbeiten wollen oder Arbeitszeiten unterbrechen – sei es wegen ihrer Familie oder warum auch immer, das ist ihre Entscheidung! Aber das hat natürlich Auswirkungen auf die Statistik. Wenn man sich die Zahlen abseits der Schlagzeilen anschaut, sieht es doch alles sehr, sehr gut aus.

Anna hat aber natürlich recht, zwischen dem Westen und dem Rest der Welt zu unterscheiden. Es gibt sicher Orte, wo der Feminismus noch gebraucht wird, aber doch nicht im Westen. Beim Kampf der Feministinnen in den Siebzigern – und ich war ein Teil davon –  ging es um gleiche Chancen. Schafft die gleichen Voraussetzungen, dann werden wir euch zeigen, dass wir genauso gut oder besser als die Männer sind. Jetzt sollen die Regeln zugunsten von Frauen verändert werden, wie bei Frauenquoten. Dann geben wir ja auf, genauso gut wie Männer sein zu wollen, das ist kein wahrer Feminismus. Beim Feminismus geht es um Wettkampf zu gleichen Bedingungen und nicht darum, einen einfacheren Weg zu schaffen.

Wir haben Annas Frage auch noch Jennifer Baumgardner gestellt. Sie ist eine einflussreiche Feministin aus den USA, Autorin und Filmemacherin.

Nein, das ist ganz sicher falsch. Ich verstehe aber auch, woher dieses Argument kommt. Es gab in den 70ern diesen Moment, als Feminismus einen globalen, sichtbaren Effekt hatte. Dieser Moment hat unser Verständnis davon geprägt, was Feminismus ist. Aber die Welt hat sich seitdem geändert, vor allem hat sich die Welt für Frauen verändert: Die Integration in den Arbeitsmarkt, die gleichberechtigte Beziehung mit dem Partner und vor allem wie wir Gender verstehen. Für Jüngere ist dieser Begriff sehr vielfältig statt nur binär.

Einige Argumente sind sicher noch aktuell, aber die Diskussion ist heute eine andere. Da wir aber noch immer an den Feminismus von vor 40 Jahren denken, wenn dieser Begriff fällt, muss es für viele frustrierend sein, da sie denken, dass alte Diskussionen aufgewärmt werden. Dabei haben sich die Dinge verändert. Aber Frauen sind sicher noch nicht völlig gleichberechtigt – egal welche Messlatte man anlegt.

Das gilt aber auch vice versa. In einigen Bereichen werden die Männer unfair behandelt und die Frauen genießen mehr Freiheiten: Ich denke dabei an Emotionen und Zärtlichkeit. Dieser Bereich steht bei Eltern den Müttern zu, für Männer ist das oft noch keine legitime Rolle.

Wir haben als Gesellschaft und als Menschheit noch viel zu tun. Aber das Wort „Feminismus“ kann dabei ganz elastisch genutzt werden. Als Individuum kann man selbst entscheiden, was es für einen bedeutet, sich Feminist zu nennen. Es muss nichts statisches, externes sein sondern kann für einen selbst eine individuelle Bedeutung haben.

Unser Leser Julian sieht eher eine drohende Gegenbewegung von populistischen Parteien. Auch Sexismus sei noch immer allgegenwärtig.  Sollten wir aufpassen, unsere Errungenschaften nicht für selbstverständlich zu erachten?

Man sollte nie etwas für selbstverständlich halten, soweit gehe ich immer mit. Aber jetzt haben wir hier noch dieses Wort „Sexismus“. Die Definition von Sexismus ist inzwischen so, dass es reicht, dass das jemand behauptet. Vielleicht ist es gar nicht so. Es wirkt ja schon fast so, als suchten wir nach Beleidigungen, auch wenn es keine gibt.

Wenn man mich zu Gleichberechtigung fragt, haben zurzeit eher die Männer Schwierigkeiten. Männer haben mit vielen rechtlichen Nachteilen zu kämpfen. Wir haben in letzter Zeit öfter erlebt, dass Männer vor der offiziellen Anklage schon verurteilt werden, während die Frauen anonym bleiben, aich wenn sie ihn falsch angeklagt hat. Männer haben auch vor Familiengerichten Nachteile, da sich die Gerichte meist auf die Seite der Frauen schlagen. Man soll mir nichts von fehlender Gleichberechtigung von Frauen erzählen, wenn, dann haben das jetzt die armen Männer.

Befürchtet Frau Gebhardt auch, dass uns Rückschritte drohen?

Ja, in der Politik sind zurzeit tatsächlich Rückschritte zu verzeichnen. Es gibt eine sehr starke Fraktion, der die Gleichstellung schon zu weit geht. Sie will Gesetze zur Abtreibung oder Eheschließung und Adoptionsrechte gleichgeschlechtlicher Paare wieder zurückdrehen. Es gibt umkämpfte Bereiche, aber ehe ein Gesetz wieder zurückgenommen wird muss viel passieren. Schlimmer noch ist die aufgeheizte Stimmung gegen Frauen, Feministinnen und Queer. Ich erinnere an die AfD und die Pegida, die einfach vieles in einen Topf wirft: Angst vor Fremden, Angst vor emanzipierten Frauen. Daher ist es jetzt nicht an der Zeit, die Hände in den Schoss zu legen und auf den Fortschritt zu warten.

Leserin Catherine bezeichnet sich selbst wiederum als Anti-Feministin und sagt, dass Feministinnen gegen Frauen und die weibliche Natur vorgehen, wenn sie sich für Karrierefrauen statt Mütter einsetzen. Wie reagiert Frau Baumgardner?

Ich bin selbst Mutter und für mich war es das Beste, was mir je passiert ist. Auch meine eigene Beziehung zu meiner Mutter ist mir enorm wichtig. Ich glaube vieles, wie wir uns selbst als Frauen und auch Personen generell begreifen, hängt von dieser ersten wichtigen Beziehung im Leben ab.

Feminismus richtet sich daher keinesfalls gegen Mütter. Aber Feministinnen haben auf jeden Fall dafür gekämpft, dass es für Frauen nicht mehr ausschließlich die Mutterrolle gibt. Es ist doch noch heute so, dass man als Frau schief angeguckt wird, wenn man keine Kinder bekommt. Der Feminismus setzt sich auf jeden Fall dafür ein, dass Frauen auch einen anderen Weg wählen können. Das Mysterium der Mutterschaft musste schon ein wenig aufgebrochen werden, um neue Räume  für Frauen zu schaffen. Vielleicht kann das missverstanden werden.

Kann Frau Gebhardt Catherines „Naturargument“ nachvollziehen?

Auf was beruft sich denn Catherine bei ihrem Naturargument? Geht es um eine Gebärmutter? Eine Hormonlage? Die Naturwissenschaften haben keine Belege dafür gefunden, dass Frauen bestimmte Tätigkeiten oder Berufe nicht ausüben können. Das ist doch eher Illusion als nachweisbar.

Ich kann dieses Argument nicht nachvollziehen. Es gibt eine Wahlfreiheit, keine Feministin sagt, dass alle Frauen eine bestimmte Lebensform wählen müssen. Das war vielleicht mal eine Phase der Siebziger Jahren, da war ein Teil des Feminismus sehr streng und erzieherisch. Aber im Großen und Ganzen geht es um Wahlfreiheit, das Schlagwort ist Selbstrealisierung. Nicht alle Frauen müssen arbeiten und sich einer männlichen Biografie anpassen. Es gibt unterschiedliche Lebenslagen, es ist völlig akzeptiert, dass nicht alle Frauen haben die gleichen Zielvorgaben haben. Wenn Frauen ein eher traditionelles Leben wählen wollen, hat niemand etwas dagegen!

Was sagt Frau Widdecombe abschließend zu Catherines Argument?

In einem Punkt hat sie sicher recht, es ist eher die zweite Wahl Entscheidung, Vollzeitmutter zu werden. Nicht nur bevor die Kinder eingeschult werden, sondern eine richtige Vollzeitmutter, bis sie die Schule verlassen. Das wird inzwischen auf jeden Fall als weniger gut als eine Beschäftigung angesehen. Es lastet eine Menge Druck auf Frauen, wenn sie zu Recht sagen, „alles“ haben zu wollen. Es ist nicht unmöglich, alles haben zu erreichen, aber nur wenige Frauen schaffen das. Feminismus sollte etwas entspannter werden. Es sollte um die Wahlfreiheit gehen und nicht um den Weg, den Feministen für richtig halten.

Brauchen wir noch Feminismus? Was denkt ihr? Haben wir inzwischen die gleichen Startbedingungen erreicht und müssen nur noch abwarten? In welchen Bereichen sind Männer und Frauen noch nicht gleichberechtigt? Was ist eurer Meinung nach zu tun?

Fotos: Wikipedia (CC) – Elvert Barnes; Portraits: Gebhardt (c) – Oliver Rehbinder; Widdecombe – Wikipedia (CC) Brian Minkoff-London Pixels; Baumgardner – Wikipedia (CC) Ali Price



18 Kommentare Schreib einen KommentarKommentare

Was denkst du?

  1. avatar
    Martin

    Lieber Herr Fazebucke, Frage: “warum wird mir so ein Inhalt angezeigt?“
    WARUM (die Ärzte)
    #esgibtnureinengott
    #belafarinrod

    • avatar
      Martin

      Es wäre möglich

    • avatar
      DebatingEurope/DE

      …haben sich doch auch die ÄRZTE zu geäußert 😉

    • avatar
      Basti

      Bullshit

    • avatar
      Ana

      War klar, dass das von einem weißen Mann kommt..

    • avatar
      Will

      Ich bin schwarz und bissexuell also bin ich berechtigt dies zu sagen, du hast recht.
      PS: Falls jemand fragt wieso ich die Berechtigung habe, es gibt sehr viele Feministen die sagen: ,, ja das sagen immer die weissen heterosexuellen männer“

  2. avatar
    Norbert

    Die früheren Feministinnen kämpften für die Gleichberechtigung der Frau.
    Die heutigen Feministinnen kämpfen für die Domestizierung des Mannes .
    Sie sehen in jedem Mann einen Sexualstrolch, dem man am besten das Geschlechtsteil abtrennen sollte .
    Hinzu kommt der in diesen Kreisen vorhandene ‚ Genderwahn ‚ , der schon stark krankhafte Züge angenommen hat .
    Es ist langsam an der Zeit , das die Gesellschaft diese durchgeknallten ‚ Weiber ‚ endlich stoppt, bevor noch mehr Schaden angerichtet wird !
    Glücklicherweise befinden sich diese ‚ Damen ‚ ja in der Minderheit und die meisten Frauen haben von diesem Spuk inzwischen auch die Nase voll .
    Gesellschaftliche Probleme lassen sich nur gemeinschaftlich lösen und eben n i c h t durch einen künstlich herbeigeredeten Geschlechterkampf !

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      Sabine

      Gut, Dann fangen wir an und reden nicht so viel.

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      Basti

      Sagt gerade ein Mann, typisch….

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      Norbert

      Basti Rosenthal ,
      aber ein alter 68er, der als hauptamtlicher Gewerkschafter sein ganzes Leben lang für die Gleichstellung der Frau nicht ganz ohne Erfolg gekämpft hat und seit einem halben Jahrhundert mit einer absoluten Powerfrau verheiratet ist …
      Was sich jedoch derzeit in der Feministenscene abspielt, das hat sehr viel mit den Neurosen dieser oft unbefriedigten weiblichen Protagonistinnen zu tun und sehr wenig mit den ursprünglichen Zielen der Frauenbewegung !

  3. avatar
    Nardo

    Jep. Brauchen wir leider immer noch

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    Martin

    In einem Rechtsstaat ist solch ein sinnfreier Aktionismus nicht nötig.

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    Alex

    Den Feminismus brauchen wir nicht mehr
    Wir brauchen eine andere Bewegung die beide Geschlechter wirklich auf gleicher Ebene behandelt und alles berücksichtigt

    Der Feminismus spaltet beide Geschlechter statt sie zueinander zu bringen und genau deshalb ist das auch der falsche Weg
    Wir brauchen keine Täter oder Opfer sondern Lösungen und ein gemeinsames Miteinander unter einem Namen der das auch wiedergibt

    Ich habe mich mit dem Feminismus beschäftigt von der first wave bis hin zu heute und der Sexismus zieht sich von Anfang an durch bis heut

    Es wurde auch eine Auflistung der sexistischen Aktionen und Co der feministischen veröffentlicht um zu zeigen dass von Anfang an Sexismus immer dabei war

  6. avatar
    Phillip

    Ich weiß nicht ob er jemals überflüssig wirs

  7. avatar
    Martin

    Noch mehr soziale Spaltung verträgt diese Gesellschaft mehr.

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