Haben die Menschen weniger Angst vor Flüchtlingen, wenn sie welche treffen? Sind sie feindseliger eingestellt, wenn sie Flüchtlinge nur aus den Medien und politischen Slogans kennen? In den letzten Bundestagswahlen hat die AfD vor allem in kleineren Städten viel Zuspruch erhalten, so wie in Bitterfeld-Wolfen. Gleichzeitig ist die Angst vor Migration hier kaum nachzuvollziehen, da Flüchtlinge nicht einmal 1 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Um die Flüchtlingskrise in Europa näher zu betrachten, haben wir das Projekt „Cities & Refugees“ gestartet. Das Ziel: ein europaweiter Dialog zwischen Bürgern, Asylbewerbern, NGOs, Politikern und europäischen Führungskräften. Ein besonderes Augenmerk legen wir dabei auf die Verbindung zwischen dem alltäglichen Leben der Menschen in Städten und Gemeinden und den Entscheidungen, die in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten getroffen werden.
Heute schauen wir nach Bitterfeld-Wolfen in Deutschland. Die kleine Stadt hat ungefähr 41.000 Einwohner und liegt 50km von Leipzig entfernt. Seit der Wiedervereinigung hat sich die Bevölkerung fast halbiert. Das ist eine typische Entwicklung der Region, da viele Arbeitsplätze durch das Ende der Schwerindustrie verloren gingen. Heute haben sich diese Zahlen erholt, aber noch immer liegt die Arbeitslosigkeit bei 7,9 Prozent während sie deutschlandweit bei 3,5% liegt.
Die Bevölkerung von Bitterfeld-Wolfen ist zu 95,9% deutsch mit einer sehr geringen Zuwanderungsrate. Wenn sich Migranten für die Region entscheiden, kommen sie meist aus Europa. Trotzdem war die Wahlkampagne der AfD gegen Migranten erfolgreich. Bei den Landtagswahlen wurde die AfD in Bitterfeld stärkste Partei und die zweitstärkste in Wolfen. Bundeskanzlerin Merkel wurde 2017 von Gegendemonstranten ausgepfiffen, als sie die Flüchtlingspolitik der CDU auf einer Wahlkampfveranstaltung in Bitterfeld verteidigte.
In unserer Infografik findet ihr noch mehr Fakten zu Bitterfeld-Wolfen.
Wir haben sehr viele Kommentare von Lesern erhalten. Adrian aus Großbritannien glaubt zum Beispiel, dass die migrantenfeindliche UKIP Partei vor allem in abgeschiedenen Orten gewinnt, wo es keine Migration gibt. Hat er recht? Ist die Angst am stärksten vor dem Unbekannten?
Wir fragten direkt beim Bürgermeister von Bitterfeld-Wolfen Armin Schenk nach. Glaubt er, dass die Angst vor Migranten in kleinen Städten stärker ist als in großen?
Ich kann dieser Aussage generell nicht zustimmen, denn sie impliziert, dass die ansässige Bevölkerung Angst vor Flüchtlingen hat. In Bitterfeld-Wolfen leben derzeit 370 Flüchtlinge. Das macht lediglich 0,93 Prozent der Gesamtbevölkerung, also einen geringen Anteil, aus. Es wäre falsch zu sagen, die Bitterfeld-Wolfener, die hier leben, hätten Angst vor den Flüchtlingen.
Kleinere Städte bieten andere Möglichkeiten der Integration. Hier begegnet man sich persönlich, die Anonymität der Großstadt fehlt. Das ist eine Chance. Eine Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen, Bedenken abzubauen und einander kennenzulernen. Angst war dabei schon immer ein schlechter Ratgeber.
Mit der Einreisewelle in den vergangenen Monaten wurde es zu unserer Aufgabe, also zur Aufgabe der Gesellschaft und natürlich der Politik, diesen Prozess der Integration zu begleiten, für Verständnis zu werben und zahlreiche Partner ins Boot zu holen. Wir haben in Bitterfeld-Wolfen einen gemeinsamen Weg gefunden und ich sehe es als meine Aufgabe, auch Skeptiker, die durchaus vorhanden sind, von diesem Weg zu überzeugen.
Für eine wissenschaftliche Perspektive fragten wir auch bei Dr. David Schiefer nach, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration unterstützt. Kann er Adrians Beobachtung bestätigen?
Grundsätzlich kann man in den empirischen Studien sehen, dass Menschen in Großstädten öfter eine positivere Haltung gegenüber Flüchtlingen haben als in kleinen. Das hat mehrere Gründe: Einmal sind sie dem Kontakt mehr ausgesetzt, oft reicht schon der Kontakt zwischen verschiedenen Gruppen, um seine Meinung ins Positive zu ändern. Dann gibt es in ländlicheren Gegenden oft auch andere Werthaltungen und Lebensstile. Offenere und liberalere Menschen zieht es öfter in die größeren Städte. Das wäre dann der zweite Grund für diesen Unterschied.
Man kann aber auch in den kleineren Kommunen Deutschlands sehr große Unterschiede finden, zum Beispiel bei der Offenheit der Menschen und den Unterstützungsstrukturen. Es finden sich sehr kleine Städte mit offener aber auch große Städte mit einer eher ablehnenden Haltung.
Dann fragten wir noch bei Arne Lietz nach, der als Europaabgeordneter aus Sachsen-Anhalt die Region gut kennt.
Unser Leser Chris hat seiner Wut Luft gemacht und ist der Meinung, dass eher Geld für Flüchtlinge als dringende Investitionen ausgegeben wird. Stimmt der Vorwurf?
Das ist eine Emotion oder eine Wut, die auch in Deutschland häufig geäußert wird. Das ist erklärbar, da sowohl die Probleme in Deutschland als auch das ausgegebene Geld für Flüchtlinge sichtbar sind. Daher kommt dann diese Wut. Man muss aber sagen, dass natürlich mehr Geld ausgegeben wurde, das war aber zusätzliches Geld. Es wurden keine beschlossenen Ausgaben zum Beispiel für Straßen oder andere Infrastruktur eingefroren, auch wurden nicht Sozialleistungen reduziert oder Arbeitslosengeld gekürzt. Hier wird die Sorge vor einem Verteilungskampf deutlich, sie ist aber unbegründet. Die starke Zuwanderung hat auch Entwicklungen mit sich gebracht, die der gesamten Bevölkerung zugutekommt. Zum Beispiel wird in ländlichen Räumen durch die Zuwanderung jetzt wieder darüber nachgedacht, wie man die Mobilität für alle erhöhen kann.
Wie reagiert Bürgermeister Schenk?
Die Frage und Kritik an der Finanzierung der Flüchtlingskrise wird häufig geäußert. Doch hier muss ganz deutlich gesagt werden, dass diese Finanzierung auf einer anderen politischen Ebene entschieden wird. Meine Aufgabe als Oberbürgermeister ist es, die Menschen meiner Stadt zusammenzubringen. Wut hilft da nicht weiter. Wir sind infrastrukturell so aufgestellt, dass die Anzahl der Flüchtlinge zu keinem Zeitpunkt, das gesellschaftliche Leben (beispielsweise: fehlende Krankenhausbehandlung) negativ beeinflusst hat. Bitterfeld-Wolfen hat wie viele deutsche Städte mit der demografischen Entwicklung zu kämpfen. Dies bedeutet, dass die Bevölkerung zunehmend älter wird und junge Menschen fehlen. Dies wird auf dem Arbeitsmarkt deutlich, ist aber beispielsweise auch am Leerstand von Wohnraum oder an sinkenden Schülerzahlen erkennbar. Ich sehe die momentane Situation vielmehr als eine Chance, dieser Entwicklung in einem gewissen Maße auch entgegenzuwirken. Wichtig ist es, aufeinander zuzugehen und Barrieren (in den Köpfen) abzubauen. Schon der deutsche Schriftsteller Friedrich Schiller sagte: “Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden.“
Ist die Angst vor Flüchtlingen in kleinen Städten stärker als in großen? Reicht der Kontakt mit Flüchtlingen, um seine Vorurteile abzubauen? Bieten kleinere Städte vielleicht sogar bessere Chancen für die Integration als die anonyme Großstadt? Was denkt ihr?
Fotos: (c) / BigStock – artefacti (Antifaproteste in Leipzig); Portraits: Schenk (c), Schiefer (c)

9 Kommentare Schreib einen KommentarKommentare
Ich würde mal sagen… das die Leute in den kleineren Städten ja auch aus den Medien ( wenn sie mal berichten ) sehen, das es in den grösseren Städten viel Theater mit no go Areas… Gewalt und Diebstahl gibt … und das bischen positive Entwicklung wenn es nicht geschönt wird … eben nicht ausreicht .. die Leute zu überzeugen…
Ich würde auch lieber auf sowas verzichten, als dann durch Schaden schlau zu werden.
Wehret den Anfängen
Die Menschen in bitterfeld wurden bisher von den Folgen der Migration verschont. Warum sollten sie begrüßen, dass sich das ändert? Eine scheinheilige Recherche.
Was hat das mit Angst zu tun. Wenn man einfach nur genervt ist, von den ständig dummen Anmachen…
Und wieso braucht ein Lidl und ein Kaufland plötzlich Security und das in einer Stadt mit 15.000 Einwohnern?!
Mich nerven diese Beschönigungen!
Ich sehe keinerlei verlangen Flüchtlinge auf Dauer in Deutschland zu integrieren und als Kleinstadt Bewohner sehe ich Flüchtlinge eher mit Skepsis . denn ausser ihrer eigenen Kultur die zB zur Flucht getrieben haben und auch gleich mitbringen ! Malen diese Menschen sich hier ein leben im Reichtum aus das es eigentlich nicht gibt! Nur durch sozial betrug was leider von Regierung und Helfern geduldet wird mit 4 bis 20 verschiedenen pässen könnte ich mir eine villa leisten oder für 20 Jahre Steine klopfen als deutscher !!! Doch die kommen damit durch ?
Ja mich kotzt es langsam an das sie bevorzugt werden das ist das was den Leuten nervt
Ja und Zakk packen wir alle Flüchtlinge in eine Schublade. Natürlich sind darunter auch sehr gefährliche Menschen, gerade bei den Männern. Aber ich verstehe die Leute, wir beuten schon seid 2-3Jahrhunderte ärmere/schwächere Teile der Welt aus, gucken uns das leid der Menschen an, aber das ist ja so weit weg. Und wenn sie dann hier sind, um auch ein Stück vom Kuchen zu bekommen, nach all der Armut und Leid – fangen die Gutmenschen an braune Spuren zu hinterlassen. Den auf einmal müssen Sie teilen und der neid kommt hoch, die bekommen alles in den arsch geschoben 🤣 das es sich dabei um einen Menschen handelt vergessen die lieben untermenschen dann
Mit deutschen Rentner und Kindern macht ihr doch das gleiche
Mann hört doch immer wir Deutschen sind alle Nazis, die ärmsten sind noch im Kriegsgebiet und denen hiflt keiner sollten ihr Land wieder aufbauen .
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man ein Vorurteil dann ablegen kann, wenn man sich damit auseinandersetzt.
Dies könnte beispielsweise deswegen geschehen, wenn man den Kontakt zu den Menschen sucht (eher unwahrscheinlich) oder es einfach geschieht, durch den zufälligen Kontakt oder indem jemand anderes einen dazu zwingt.
Erstaunlicherweise wurde bekannt, dass vor allem in Regionen mit einem sehr geringen Anteil Flüchtlingen potenziell größere Ressentiments herrschen, dies könnte zum einen an der Xenophobie oder auch an unserer Berichterstattung liegen, den öffentlichen Medien oder auch den sozialen (bei der Wahl zwischen zwei Artikeln lesen wir meißtens den skandalösen).
Ich denke zwar, dass die positiven Berichte überwiegen, aber auch 100 gute Erfahrungen können nicht eine grauenhafte ungeschehen machen.