Ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland ist arm und auf staatliche Hilfe angewiesen. Die aktuelle Debatte über den Armutsbegriff und wie wir festlegen, wer arm ist, scheint das eigentliche Problem in den Hintergrund zu drängen: Es gibt in Deutschland zwischen acht und 13 Millionen Arme. Wie kann das eigentlich sein? Die Wirtschaft boomt und um die niedrige Arbeitslosenquote werden wir von unseren europäischen Nachbarn beneidet, es gibt also viele gute Nachrichten.

Auch die gesamteuropäische Entwicklung ist positiv. In diesem Jahr erleben wir das stärkste Wachstum seit der Finanzkrise. Die Eurozone ist robust, die Konjunkturen in Italien und Frankreich entwickeln sich besser als erwartet und sogar in Griechenland sehen die Zahlen langsam besser aus. Die Euroländer könnten die USA erstmals seit Jahren wieder wirtschaftlich übertreffen.

Aber die wirtschaftliche Entwicklung ist nicht unbedingt daran gekoppelt, wie es kinderreichen Familien, Arbeitslosen, Alleinerziehenden, Migranten und Rentnern geht, die statistisch am meisten durch Armut bedroht sind. Auch wer Arbeit hat, ist nicht automatisch gut versorgt. Panik vor dem Abstieg hat inzwischen auch die Mittelschicht erreicht, obwohl es ihr in Deutschland gut geht. Sehen wir also alles etwas zu schwarz?

Empörung allein hilft sicher niemandem. Aber jedes vierte bis fünfte Kind in Deutschland ist von Armut bedroht und das muss sich ändern. Auch von unseren Lesern haben wir viele Kommentare zum Thema erhalten. Um Antworten auf eure Fragen zu bekommen, haben wir mit Wolfgang Büscher gesprochen. Er ist Pressesprecher des christlichen Vereins die ARCHE, der sich gegen Kinderarmut in Deutschland engagiert und sozial benachteiligte Kinder fördert.

Raziel ist der Meinung, dass die Agenda 2010 und die liberalisierte Arbeitspolitik dazu geführt haben, dass jeder von dem Risiko bedroht ist, in Armut rutschen zu können. Was sagt Herr Büschel zu strukturellen Bedingungen der Armut in Deutschland?

Ja, Hartz IV ist schlichtweg eine Katastrophe, das Schlimmste was vielen Menschen passieren konnte. Wenn ich sage, dass ich arbeitslos bin, ist das vorübergehend. Aber Hartz IV ist ein Stigma, da sage ich ganz eindeutig, du wächst außerhalb der Gesellschaft auf und du bist in einem Armutskreislauf aus dem du selbst nicht mehr herausbrechen kannst. Wenn ich länger als ein Jahr arbeitslos bin, gebe ich mich innerhalb der Gesellschaft auf – dann kommt der Jogginganzug mit Bierflasche bei Tageslicht – und dieses sich aufgeben wird an die eigenen Kinder weitergegeben. Diese Kinder brauchen dann fremde Menschen von außen, die sie aus diesem strukturellen Kreislauf herausholen, weil es das eigene Umfeld nicht kann. Von daher hat der Leser recht.

Hans ist der Meinung, dass es die Armutszahlen heute vor 5 Jahren noch nicht gab. Hat er recht? Ist die Situation schlimmer?

Ja, die Situation hat sich insgesamt verschlechtert. Aus der Praxis meiner Arbeit sage ich immer, wir haben jetzt Vollbeschäftigung. Jetzt arbeiten alle, die arbeiten wollen und können. Alle, die können, haben in der Regel einen Job. Die Familien, die wir in der Arche betreuen und das sind immerhin täglich 3.500 Kinder mit ihren Eltern, die können das nicht mehr. Sie sind nicht mehr in der Lage zu arbeiten, weil sie viel zu lange raus aus dem Arbeitsalltag sind. Viele Eltern können nicht einmal mehr aufstehen, das geben sie an ihre Kinder weiter. Diesen Menschen muss man über fremde Hilfe wieder beibringen, zu arbeiten. Wir brauchen mehr Menschen, die Zeit haben zu helfen.

Sepp glaubt, dass Kinder heutzutage keine Alterssicherung sondern ein Armutsrisiko sind. Stimmt Herr Büschel von der Arche zu?

Ja, das ist richtig. Wenn sie sich heute entscheiden drei oder vier Kinder zu bekommen – und das sind viele Familien, die in die Arche kommen – dann ist das ein erhebliches Risiko, denn Kinder kosten Geld. Das Kindergeld reicht nicht für den Unterhalt und auch nicht für die Bildung. Viele können nicht in die Bildung ihrer Kinder investieren, weil das Geld nicht reicht. Das ist schlichtweg eine Katastrophe. Kinder sind im Moment ein enormes Armutsrisiko in Deutschland. Wir brauchen keine Bildungspakete oder eine Herdprämie – oder so einen ähnlichen Schwachsinn! Wir können das Problem aber lösen. Wir brauchen mehr Menschen, die Zeit haben sich zu kümmern, zum Beispiel Lehrer und Lehrerinnen. Wir müssen in unsere Menschen investieren, dann gibt es auch kein Risiko für Altersarmut. Wenn die Kinder jetzt eine vernünftige Ausbildung bekommen, kommen sie später auch in Lohn und Brot, dann ist das Problem gelöst.

Was bedeutet Armut im reichen Deutschland? Was denkt ihr? Haben wir ein ernsthaftes Problem, Armut in den Griff zu bekommen oder meckern wir auf hohem Niveau? Schreibt uns eure Fragen und wir diskutieren sie mit den Experten in Europa.

Foto: cc/ Flickr – Scottish Government



15 Kommentare Schreib einen KommentarKommentare

Was denkt ihr?

  1. avatar
    Udo Rosenkranz

    Volker Lughofer
    Auf ‚ Jamaica ‚ gibt es keine + relative Armut + Relativ ist sowieso ein bloesinniges deutsches Wort + wenn eine Person in dem “ reichen “ Deutschland zur Tafel Einkaufen muss * Kinder in die Arche gehen muessen um Essen zu bekommen * dann ist diese von der Deutschen Politik vergessenen Clientel ! Arm !

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      Michael Rabolt

      Nein,einen Plan haben die grossen Parteien nicht…die Verkaufen uns immer nur die Probleme!

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    Elajah Till

    Deutschland ist nicht reich, es beutet seine Bürger aus. Niedriger sozialer Standard und geringe Löhne zu kosten einer dominanten Exportwirtschaft.

    Deutschland ist ein Niedriglohnland mit hohen Lebenshaltungskosten.

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      Martin Skorny

      Der Globalismus braucht den Niedriglohnsektor wie die Luft zum atmen.

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      Elajah Till

      Globalisierung, nicht auf meine Kosten und nicht auf dem Rücken der fleißigen Leute in diesem Land, die schamlos ausgenutzt werden.

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      Enzo Italia

      Hahahahaha , macht mal ein paar Erfahrungen in anderen Ländern , am besten ausserhalb Europas , dann werdet Ihr Eure Meinung ganz , ganz schnell ändern…..

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      Daniel Fechner

      Enzo Italia
      Es stimmt, dass andere Länder shlechter dran sind, doch ist dies kein Grund keine Verbesserungen für das eigene Land zu fordern.
      P.s.: Wenn die Produktionskosten hierzulande steigen, können in anderen Ländern ebenfalls die Löhne steigen, ohne dass die Absätze einbrechen, bzw. mehr exportiert werden wodurch die Arbeitslosigkeit sinkt, da die Kosten niedriger sind.

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    Maria Remmers

    In Deutschland besitzen
    die Reichen den größten Teil des in Deutschland vorhandenen Vermögens. Die anderen und das ist der größte Teil, der schon länger in Deutschland lebenden Menschen, kommen garnicht oder soeben über die Runden. Das man dann das verurteilt, wenn der größte Teil für..Neuhinzugekommene ausgegeben wird, die noch nichts in die Kassen eingezahlt haben, ist nachvollziehbar . Schließlich geht es dabei um erwirtschaftete Gelder der Steuerzahler.

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    Pius Stark

    A Großer Teil der Befölkerung . ??? Den größten Teil geht es gut bis sehr gut , bloß viele Merken es gar nicht mehr , und klar einigen gehts schlecht .

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    Heinrich Guzy

    …die Antwort auf diese Frage liegt in der Geschichte Deutschlands. Klar und deutlich. Sie fängt ungefähr so an; es war einmal eine Weimarer Republik……

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    Phillip Thern

    Armut in Deutschland ist stark an Bildung bzw den Mangel an Bildung gekoppelt. Grundsätzlich hat zwar jeder Zugang zu Bildung in Deutschland, weil es keine Studiengebühren an den Universitäten gibt (dagegen haben wir erfolgreich protestiert) aber arme Familien bleiben arm weil sie den Wert der Bildung nicht erkennen. Der zweite Bildungsweg ist sehr steinig, aber er lohnt sich, wenn man sich dazu entschließt, aber man erreicht selbst bei härtester Disziplin selten das, was einem offensteht, wenn man mit 10 aufs Gymnasium geht und dort auch bleibt. Dabei ist Bildung nicht mit Intelligenz zu verwechseln. Bildung ist vielmehr eine Vorbereitung auf den Elitismus, sowohl was die innere Einstellung angeht als auch die nötigen ‚Zugangspapiere‘ zu den höheren gesellschaftlichen Strata. Menschen mit geringerer Bildung dagene leiden an den typischen Armutssymptomen: geringes Selbstwertgefühl, schlechte Kreditbedingungen und überbordender Stress

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